Das SWR Symphonieorchester mit Teodor Currentzis

14.
Feb.
2020

Der Anspruch, den Mahlers Sinfonien an Dirigenten wie an Orchester stellen, ist enorm, und – leidgeprüfte Mahlerfans wissen das – gerade im tarifregulierten Abokonzertbetrieb schwer einzulösen. In Stuttgart fällt einem Manfred Honeck ein, dem mit dem Staatsorchester einige denkwürdige Aufführungen gelangen. Beim einstigen Radio-Sinfonieorchester des SWR fanden zuletzt weder Stéphane Dénève noch davor Roger Norrington einen rechten Zugang zu Mahlers sinfonischem Welttheater. Nein, es braucht da einen Dirigenten, der wirklich brennt für die Kunst und mit diesem Feuer auch die Musikern entflammen kann. Einen wie Teodor Currentzis.
Das Credo des Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters lautet, grob gesagt, nicht zu trennen zwischen Kunst und Leben. Und mag auch der Habitus, mit dem er sich stilisiert und in Szene setzt, dem ein oder anderen übertrieben vorkommen – was zählt, ist, um eine alte Fußballerweisheit abzuwandeln, im Konzert. Und dort, im restlos ausverkauften Beethovensaal, ereignete sich am Donnerstagabend Bedeutendes.
Auf dem Programm stand Gustav Mahlers erste Sinfonie, und in Takt 657 des vierten Satzes istes dann soweit: die gesamte Horngruppe erhebt sich, um dem Schlussteil mit der Choralapotheose den größtmöglichen Nachdruck zu verleihen – laut Mahlers Partituranweisung sollen die Hörner „Alles, auch die Trompeten übertönen“. Ob dabei die entsprechende Wirkung erzielt wird, hängt aber weniger von der schieren Lautstärke ab als davon, ob es dem Dirigenten gelingt, diese letzte Kulmination als Finale einer sinfonischen Entwicklung begreifbar zu machen, bei der zuvor essentielle Fragen des Menschseins verhandelt wurden. Denn selbst wenn Mahler das Programm zu dieser Sinfonie wieder zurückgezogen hatte – das Thema der Heimatlosigkeit des modernen, von der Natur und sich selbst entfremdeten Menschen, der Erlösung erst im Tod findet, kann sich durchaus rein musikalisch vermitteln. Schlüssig herausgearbeitet, ist dem triumphalen Gestus des Choralfinales dann die Tragik eingeschrieben, der blechsatte Jubel ein gebrochener, teurer: nämlich mit dem Leben bezahlter.
Und das war an diesem Abend so. Die Schläge der großen Trommel waren nicht tieffrequentes Dröhnen, sondern Zeichen einer grundsätzlichen Erschütterung der gesamten Existenz, die Posaunen und Trompeten schallten gleichsam aus dem Jenseits herüber. Nach dem Schlussakkord war man sekundenlang wie paralysiert, ehe der Jubel hereinbrach.
Die Grundlage für diese überwältigende Wirkund hatte Currentzis zuvor gelegt. Im ersten Satz, wo er mit den flirrenden, entmaterialisierten Flageoletten der Streicher den Rahmen aufspannte für den Reigen der Naturlautzitate. Dem folgten die derbe Collage aus Walzern und Ländlern im zweiten Satz und schließlich, großartig ausgespielt in seiner hybriden Doppelbödigkeit, der dritte Satz mit den vorbeiziehenden Kapellen. Aus den Gegensätzen formte Currentzis das ganze Bild: dem zu Beginn des vierten Satzes einbrechenden Inferno stellte er das bittersüße Seitenthema als Antithese in größter Zerbrechlichkeit gegenüber – und dass er dabei die Violinen zu noch größerer Zurückhaltung mahnte, während die Hörner sie schon zu übertönen begannen, mag man ihm nachsehen.
Das Thema des Übergangs vom Leben zum Tod liegt auch Richard Strauss´ fast zeitgleich entstandener Tondichtung „Tod und Verklärung“ zu Grunde. Doch wenn Mahler in seiner ersten Sinfonie die Auflösung der bis dahin gebräuchlichen sinfonischen Mittel betrieben hat, so erscheinen diese bei Strauss noch in vollem Umfang gültig: schlüssig also, dass Currentzis dieses Stück vor Mahler gesetzt hat. Und während bei Mahler der gebrochene Ton der Schlüssel zum Gelingen war, zelebrierte Currentzis bei Strauss, dramaturgisch ebenso stringent aufgebaut, die unbeschädigte Schönheit eines glanzvoll sich verströmenden, bis in feinste Verästelungen ausgehörten Orchesterklangs. Klang das SWR Symphonieorchester schon jemals so gut? Currentzis jedenfalls, das hat dieser Abend gezeigt, kann beides, Mahler und Strauss. Auf alles weitere kann man gespannt sein.

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