Die Staatsoper Stuttgart zeigt Kurzopern von Mascagni und Sciarrino

12.
Okt.
2020

Mord aus verletzter Ehre

„Wenn Du geschwiegen hättest, wäre ich jetzt nicht entehrt“. Diese Worte spricht der Graf Malaspina in Salvatore Sciarrinos Oper „Luci mie traditrici“ zu seinem Diener, nachdem der ihm vom Techtelmechtel seiner Gattin mit einem fremden Gast berichtet hat. Großes Unglück, so prophezeit der Graf, werde aus dieser Information entstehen. Und so kommt es auch: am Ende ersticht der Graf seine Frau wie er zuvor deren Liebhaber erdolcht hat.
Sciarrinos Plot beruht auf einer wahren Geschichte. Carlo Gesualdo, der Fürst von Venosa, heute vor allem bekannt als Komponist hoch expressiver Madrigale, ermordete im Jahr 1590 seine Frau und deren Liebhaber – weil er fürchtete, seine Ehre zu verlieren. Ein Thema, das bis heute aktuell ist. Laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen passieren weltweit jährlich etwa 5.000 sogenannte Ehrenmorde, davon allein 300 in der Türkei. Die Dunkelziffer dürfte, da viele Taten vertuscht werden, deutlich höher liegen. Als das Land mit der höchsten Ehrenmordrate gilt Pakistan, aber auch in Deutschland werden jährlich zwischen 30 und 50 Menschen, fast ausschließlich Frauen, umgebracht, weil sie gegen einen moralischen Codex verstoßen oder sich schlicht anders verhalten haben, als es ihr Mann oder ihre Familien von ihnen erwartet haben.
Brauchte der Fürst von Venosa schon allein aufgrund seiner privilegierten Stellung keine Konsequenzen zu fürchten, so waren und sind Ehrenmorde in manchen Kulturen durchaus legitimiert. Dazu gehörte auch die bäuerliche Gesellschaft im 19. Jahrhunderts in Sizilien, wo Pietro Mascagnis Einakter „Cavalleria rusticana“ spielt. Den hat die Staatsoper Stuttgart nun als erste Neuproduktion der Saison mit Sciarrinos Kammeroper zu einem Doppelabend zusammengespannt, der das Thema Ehebruch, Eifersucht und Mord epochenübergreifend in den Mittelpunkt stellt.
Wenn es bei Sciarrino die Ehefrau ist, die wegen eines erotischen Fehltritts ihr Leben verliert, so ist es in Mascagnis Oper der Fuhrmann Alfio, der Turrido, den Liebhaber seiner Frau Lola ersticht: zwar hat Turridu schon dem Bauernmädchen Santuzza die Ehe versprochen, doch nach seiner Rückkehr aus dem Militärdienst kann er den Avancen Lolas, mit der er vor Alfio verbandelt war, nicht widerstehen.
Doch auch wenn die Werke Sciarrinos und Mascagnis um dasselbe Thema kreisen, so liegen künstlerisch Welten dazwischen. Die „Cavalleria rusticana“ ist die vielleicht effektvollste Verismo-Oper überhaupt, eine emphatische Feier der Melodie, in der die Emotionen Funken schlagen und das Blut in Wallung gerät. Allerdings benötigt man dazu neben verismotauglichen Sängern auch eine entsprechend klangmächtige Orchesterbesetzung. Doch die lässt sich derzeit aus Corona-Gründen nicht realisieren, weswegen man in Stuttgart eine von Sebastian Schwab extra angefertigte Version für Kammerorchester spielt. So wurden die im Graben mit Abstand platzierten Streicher auf ein Quintett eingedampft, dazu kommt eine hinter der Bühne versteckte Banda und der im dritten Zuschauerrang verteilte Chor. GMD Cornelius Meister hatte so alle Hände voll zu tun, die verschiedenen Gruppen zusammenzuhalten, was ihm auch meistens gelang. Von einer adäquaten klanglichen Realisierung war das Ganze aber dennoch weit entfernt, was umsomehr schade war, als man mit Eva-Maria Westbroek für die Rolle der Santuzza eine Sopranistin von Format zur Verfügung hat, die sowohl vokale Durchlagskraft als auch dramatische Schärfung mitbringt.
Die Regisseurin Barbara Frey hat beide Opern in derselben, von Martin Zehetgruber gebauten Bühne inszeniert, einem stylish-schäbigen Hinterhofszenario mit graffitiverschmierten Wänden und einer riesigen, seitwärts gekippten und drehbaren Treppe, auf deren Hinterseite sich Farne ranken. Doch wenn bei Mascagni die Abstandsregeln für Sänger – 6 Meter müssen es in Ausstoßrichtung sein – zu mitunter merkwürdigen Konstellationen führen, so erscheint diese räumliche Distanz in Sciarrinos Kammeroper „Luci mie traditrici“ wie ein äußerliches Sinnbild für die emotionale Entfremdung zwischen Graf (Christian Miedl) und Gräfin (Rachael Wilson) , die sich im finalen Mord vollendet. Künstlerisch erscheint diese Inszenierung also durchaus gelungen. Dass einige Zuschauer im coronabedingt luftig besetzten Opernhaus dennoch vorzeitig das Weite suchten, dürfte eher an Sciarrinos musikalischem Vokabular liegen. Je nach Gusto kann man sein Abtasten der Ränder zwischen Ton und Geräusch, das manchmal an der Hörbarkeitsgrenze sich bewegende Flirren, Schaben und Fauchen hochspannend oder eben auch enervierend langweilig finden. An der Kompatibilität dieser beiden Werke – Coronabeschränkungen hin oder her – darf man jedenfalls Zweifel anmelden.

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