Vergebene Chance

04.
Feb.
2022

Olivier Messiaens Liedzyklus „Harawi“ in der Staatsgalerie

Es ist der vielleicht gewichtigste Liedzyklus überhaupt. Mag der äußere Anlass für die Komposition Olivier Messiaens Liedzyklus „Harawi“ die psychische Erkrankung seiner Frau Yvonne Loriod gewesen sein, so umspannt das Werk thematisch weitaus mehr: es sind die Urfragen des Menschseins an sich, nach Liebe und Trost, Sinn und Bestimmung, dem Ursprung des Universums, Gott und dem ewigen Zyklus der Natur, die Messiaen hier in zwölf Gesänge gefasst hat und dabei auf drei wesentliche Elemente zurückgreift: die Legende von Tristan und Isolde, den Mythos der Inka über das Mädchen Piroutcha, das ihren Geliebten verlassen muss, und die surrealistische Dichtung.
An die Interpreten stellt das hyperkomplexe Werk höchste Ansprüche: allein der Klavierpart ist monströs in seinen Anforderungen, aber auch von der Sopranistin verlangt er eine Vielzahl an vokalen, weit über bloß kultivierten Liedgesang hinausgehenden Ausdrucksformen. Von enormer Wichtigkeit sind dabei die Texte der Lieder, in denen Messiaen metaphernsatte Lyrik, an der Inkasprache Quechua angelehnte Wortmagie und Lautmalerei eng mit der Musik verzahnt – und hier sind wir beim Grundproblem der Aufführung von Messiaens Zyklus innerhalb eines Kooperationsprojekts der Staatsoper mit der Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart: zwar waren die Texte im Programmheft abgedruckt, aber mitlesen konnte man sich nicht, da der Vortragsssaal in der Staatsgalerie wegen eines parallel gezeigten Films weitgehend abgedunkelt war. Gedreht hatte den der Videokünstler Matthew Anderson unter Mitwirkung der Sopranistin Rachael Wilson, die sich damit – das muss man leider sagen – selbst um eine adäquate Wirkung der Aufführung gebracht hat. Das ästhetisch eher belanglos mit surrealistischen Motiven spielende, grisselige Video degradierte nämlich die fabelhafte künstlerische Leistung von Rachael Wilson und der Pianistin Virginie Déjos zu einer begleitenden Tonspur, indem es die Aufmerksamkeit zur Bildebene hin und von der Musik ablenkte. Ein Jammer!

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