Streichquartett der Zukunft

22.
Jan.
2023

Das vision string quartet begeisterte im Mozartsaal

Unter anderem als Wunschbild oder Zukunftsentwurf definiert das Wörterbuch den Begriff „Vision“ – und damit ist schon recht genau beschrieben, was sich hinter dem Namen vision string quartet verbirgt. Denn tatsächlich arbeiten die vier jungen Streicher – der Primarius Florian Willeitner ist derzeit wegen einer Handverletzung durch die Geigerin Byol Kang vertreten – mit ihrem Quartett an nichts weniger als an einer Vision dessen, wie die ehrwürdige Gattung Streichquartett in die Zukunft geführt werden kann. Denn machen wir uns nichts vor: das Gros der Besucher klassischer Kammermusikabende ist in der Regel im Rentenalter oder nicht viel davor. Und ob jüngeres Publikum nachrückt, ist die Frage.

Damit das gelingt, arbeitet das vision string quartet an mehreren Fronten. Eine davon ist das Erscheinungsbild. Im Netz sind die vier Visionäre mit coolen Videos unterwegs, und auch bei ihrem Auftritt im Mozartsaal am Samstagabend wirkten sie auf sympathische Weise nahbar. Sie tragen keine Fräcke, außer dem Cellisten spielen alle im Stehen, was sie vielleicht vom renommierten Artemis Quartett übernommen haben, bei dem sie studierten. Nun bewirkt ein lockerer Habitus noch keine große Kunst: in der Vergangenheit gab es bereits einige Streichquartette, die mit neuen Formaten experimentierten, kaum eines davon zählte freilich künstlerisch zur Elite.

Doch das ist beim vision string quartet völlig anders. Ihr Auftritt geriet zu einer Demonstration erlesener Streichquartettkunst, beginnend mit einer Quasi-Röntgenversion von Barbers berühmtem Adagio op.11 über das bitterernste, bekenntnishafte achte Streichquartett von Schostakowitsch bis zum blühenden Melos in Dvoráks G-Dur-Quartett op.106. Den eher gedeckt-herben Grundklang der drei Stammmitglieder erweiterte Byol Kang an der ersten Violine um strahlend helle Farben, insgesamt erschien jede Stimme, jeder Akkord minutiös ausgehört und austariert. Größte technische Kontrolle bei mitreißender emotionaler Beteiligtheit, so könnte man die Spielweise dieses Quartetts beschreiben. Von dessen Erweiterungen des Repertoires – hier sind wir bei der zweiten Front, an der das Quartett erfolgreich arbeitet – bekam man freilich nur durch die Zugabe etwas mit. „Plunk Ballad“ heißt das zwischen Jazz und Chinapop angesiedelte, selbst komponierte Pizzicatostück aus ihrer CD „Spektrum“, mit der sich das Quartett nach euphorischem Beifall vom Publikum verabschiedete. Vielleicht gibt es ja beim nächsten Konzert in Stuttgart mehr davon?

Keine Kommentare vorhanden

Sagen Sie Ihre Meinung, schreiben Sie einen Kommentar!

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten, mit dem Absenden dieses Onlineformulars, zweckgebunden zum Kommentieren elektronisch erhoben und gespeichert werden.