Elektrisierende Spannung

21.
Apr.
2023

Joshua Weilerstein dirigierte das SWR Symphonieorchester

Vermutlich ist der Name Joshua Weilerstein den meisten Musikfreunden kein Begriff. Was sich aber wohl in den nächsten Jahren ändern dürfte – denn was der 35-jährige Amerikaner bei seinem Debutkonzert mit dem SWR Symphonieorchester am Donnerstagabend im Beethovensaal gezeigt hat, lässt ihn als einen der derzeit vielversprechendsten jungen Dirigenten erscheinen.
Schon die Interpretation des Auftaktstücks, Gideon Kleins Partita für Streichorchester in der Orchesterbearbeitung von Vojtěch Saudek, ließ in ihrer durchstrukturierten Klanglichkeit und rhythmischen Akkuratesse Weilersteins Fähigkeiten erahnen. Danach folgte zweimal Beethoven, zunächst das erste Klavierkonzert C-Dur, nach der Pause dann die vierte Sinfonie B-dur. Beide Werke eint, dass sie etwas im Schatten ihrer berühmteren Schwesterwerke stehen – das gilt besonders für das Klavierkonzert, dessen brillanter, spielerischer Grundcharakter selten in einem derart gespannten Dialog zwischen Orchester und Solist zum Ausdruck kommt wie hier. In fast mozartschem Konversationsgeist warfen sich der Pianist Behzod Abduraimov – auch von ihm dürfte in Zukunft noch zu hören sein – und das Orchester die motivischen Bälle zu, am nachdrücklichsten im Finale, das wohl zu den geistreichsten und mitreißendsten Sätzen zählt, die Beethoven überhaupt geschrieben hat. Abduraimovs Neigung zu gelegentlich ausschweifendem Phrasieren fing Weilerstein souverän wieder auf, und manchmal lugte da sogar Beethovens bärbeißiger Schalk hervor.
Die nachgerade elektrisierende Spannung dieser Aufführung erschien nach der Pause in der vierten Sinfonie noch gesteigert: einen gewaltigen Spannungsbogen zog Weilerstein hier auf, der mit den ersten Adagiotakten gesetzt und erst mit dem letzten Akkord seinen Abschluss fand. Dazwischen erlebte man, animiert von Weilersteins ungemein plastischem Dirigat, herausragende Orchesterkultur. Der Jubelton des Hauptthemas im ersten Satz als ein klingendes Sinnbild für jene pathosfreie, frische Hochgestimmtheit, die später auch die Romantiker inspiriert hat. Es folgten wunderbare Pianoabtönungen im filigran ausmusizierten Adagio, ein keckes Scherzo und schließlich ein furios durchgezogenes Finale mit brillanten Bläsersoli. Insgesamt ein Beethoven, wie man ihn in solcher Kohärenz lange nicht gehört hat – und das mit einem Gastdirigenten. Den Namen Joshua Weilerstein wird man sich merken müssen. Auch beim SWR.

Keine Kommentare vorhanden

Sagen Sie Ihre Meinung, schreiben Sie einen Kommentar!

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten, mit dem Absenden dieses Onlineformulars, zweckgebunden zum Kommentieren elektronisch erhoben und gespeichert werden.