Ohrenputzend

10.
Mai.
2023

Balthasar-Neumann-Chor & -Orchester unter Thomas Hengelbrock beim Meisterkonzert in Stuttgart

Meisterkonzert? Das sind in der Regel international renommierte Orchester, die zusammen mit illustren Solisten Romantisches bis klassisch Modernes darbieten. Insofern war das Konzert mit dem Balthasar-Neumann-Chor & -Orchester am Dienstag im Beethovensaal durchaus etwas Besonderes. Zum einen, da das auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Orchester deutlich kleiner besetzt ist. Zum anderen, da mit Luigi Cherubinis Requiem c-Moll auch ein geistliches Werk auf dem Programm stand, zudem eines, das selten zu hören ist – im Gegensatz zu Beethovens 3. Sinfonie, der Eroica. Die hatte Dirigent Thomas Hengelbrock Cherubinis Werk vorangestellt. Angesichts des Umstands, dass Beethoven Cherubini ausnehmend schätzte, ein dramaturgisch durchaus passendes Vorgehent.
Nun wird das revolutionäre Pathos, das der Eroica eingeschrieben ist, von manchen modernen Orchestern gerne mal in großsinfonischem Pomp untergepflügt – eine Domestizierung, die von Hengelbrock und seinen fabelhaften Musikern auf erfrischende Weise revidiert wurde. Die Sitzordnung mit den nach vorne gerückten Holzbläsern verstärkte dabei die Ausgewogenheit des wunderbar transparenten Klangbilds, in dem neben filigran ausformulierten Streicherlinien auch die Bläser Gelegenheit erhielten, konturenstark hervorzutreten. Insgesamt mag der Klang leiser sein als gewohnt – doch reizte Hengelbrock das dynamische Spektrum gerade im Pianissimobereich extrem aus und setzte dabei auch die wichtigen Akzentuierungen minutiös um. Eine in ihrer detailreichen Ausdifferenzierung und ihrem von Euphorie getragenen Grundton quasi ohrenputzende Eroica.
Cherubinis Marche funèbre, die Hengelbrock dem Requiem voranstellte, schloss daran – es gab keine Pause – in ihrem heroisch-tragischen, von Tam-Tam-Schlägen unterstützten Gestus nahtlos an, und auch im Requiem, speziell im Dies Irae, setzte der versierte Opernkomponist durchaus auf Plakatives. Dennoch ist das Werk, das auf Gesangssolisten verzichtet, über weite Strecken von eher liedhaft-schlichtem Melos getragen – was in diesem Fall kein Nachteil war, da der Balthasar-Neumann-Chor, hier in relativ großer Besetzung angetreten, über eine stimmlich-deklamatorische Prägnanz verfügt, die schlicht atemberaubend ist. Perfekt dazu, hier merkt die jahrzehntelange gemeinsame Arbeit, die Abstimmung mit dem Orchester. Das hätte auch Beethoven gefallen.

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