Wer bezahlt für unseren Luxus?

30.
Okt.
2023

Richard Strauss´ „Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart

Wann ist eine Frau eine Frau? Wenn sie Kinder gebären kann? Selbst wenn diese Ansicht innerhalb der aktuellen Geschlechterdiskussion als hoffnungslos anachronistisch gelten dürfte, erscheint sie in Richard Strauss´ Oper „Die Frau ohne Schatten“, die nun an der Staatsoper Stuttgart neu inszeniert worden ist, sogar metaphorisch überhöht. Hier steht für die weibliche Fruchtbarkeit das Symbol des Schattens: die titelgebende Kaiserin, als Tochter des Geisterfürsten Keikobad eine Art Mischwesen, muss diesen Schatten innerhalb von drei Tagen erlangen. Ansonsten wird ihr Gatte, der Kaiser, versteinern.
Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal haben für diese romantische, während des Ersten Weltkriegs entstandene Oper verschiedenste Sphären kombiniert. Man findet, garniert mit diversen Orientalismen, Elemente aus Drama, Märchen und Volkstheater. Dazu bezieht sich Strauss auf Mozarts „Zauberflöte“, was sich auch in der Trennung der Protagonisten in ein hohes und ein niederes Paar zeigt: neben Kaiserin und Kaiser sind das die Färberin und deren Mann Barak.
Der Regisseur David Hermann nun zeigt in seiner Inszenierung die Lebenswelten beider Paare gleichsam als Vorder- und Rückseite unserer modernen Zivilisation. Jo Schramm hat ihm dafür in Stuttgart eine Bühnenkonstruktion gebaut, wie man sie in solch visionärer Wucht lange nicht gesehen hat. Oben, quasi in der Beletage, residiert das Kaiserpaar in einem Ambiente, das an Architektenhäuser oder Museumsfoyers erinnert. Kein Krümel trübt das Bild der edel gestylten, grauen Steinelemente, dezent schimmert die indirekte Beleuchtung. Doch wer bezahlt dafür den Preis? Das erfährt man, wenn in einem fulminanten Szenenwechsel diese Ebene während des ersten Akts nach oben fährt und den Blick auf die Unterwelt freigibt, wo in einer Art Betonbunker das Prekariat ums Überleben kämpft. Die Außenwelt, so scheint es, ist bereits weitgehend zerstört und kontaminiert, sodass die Menschen nur in Schutzkleidung und mit Gasmasken nach draußen können. In dieser Tristesse leben auch der Färber und seine Frau, die von der Amme, einer Bediensteten der Kaiserin, das verlockende Angebot bekommt, gegen Abtretung der Fruchtbarkeit ihr Elend gegen Luxus und Liebesglück zu tauschen.
Doch das Ganze erfährt eine weitere, noch beeindruckendere Volte im dritten Akt. Dann öffnet sich, wie ein zusammengestecktes Schokoladenei, plötzlich der Bunker in zwei Teile und gibt den Blick nach draußen frei in ein totales Schwarz – das man nicht zuletzt deshalb mit Weltraum assoziert, weil hernach ein vielfarbig schillerndes Gestirn herunterfährt – wie eine Mischung aus göttlicher Emanation, magischem Auge und Geist, das der Szene eine verstörende Eindringlichkeit verleiht.
Nicht alles lässt sich eindeutig interpretieren und erklären in dieser insgesamt spektakulären Inszenierung, was man durchaus als Qualität begreifen kann. Dazu zählt auch der in der Mitte des Bunkers sich windende Riesenwurm. Der verschwindet, taucht dann aber am Ende der Oper – wie, das soll hier zugunsten jener, die die Oper besuchen möchten, nicht verraten werden – auf sehr überraschende Weise wieder auf.
Die Wirkung dieser Produktion ist aber auch deshalb so nachhaltig, als die musikalische Umsetzung schlichtweg grandios zu nennen ist. Das beginnt bei den fabelhaften Sängern: dass das Stück so selten gespielt wird, liegt nicht zuletzt daran, dass man für die Hauptrollen mindestens fünf Wagner- und Strauss-gestählte Spitzenkräfte mit belastbaren Stimmbändern benötigt. Und die hat man in Stuttgart. Zwar ist nur die überragende Simone Schneider als Kaiserin aus dem hauseigenen Ensemble, aber mit Benjamin Bruns (Kaiser), Evelyn Herlitzius (Amme), Martin Gantner (Barak) und Iréne Theorin (Färberin) wurde eine Riege an Sängern verpflichtet, die auch höchsten Ansprüchen gerecht wird.
Der Stuttgarter Cornelius Meister schließlich evoziert mit dem Staatsorchester einen Klangrausch, wie man in in solcher Vielfalt kaum je gehört hat. Es ist ein Riesenorchester, das Strauss hier verlangt, angereichert mit exotischem Instrumentarium wie Glasharmonika und chinesischen Gongs, dazu kommt der verdeckt agierende Opern- und Kinderchor, und Meister koordiniert diese Massen auf imponierend souveräne Manier. Mitreißend die fast cineastische Wucht der Klangeruptionen, berührend aber auch das subtile Ausleuchten von Details, die fein gesponnenen kammermusikalischen Passagen samt der berührend intensiven Streichersoli. Am Ende tosender Jubel, nur vereinzelte Buhs für die Regie. (Südkurier)

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