Labsal für die Ohren

10.
Dez.
2023

Das SWR Vokalensemble mit Vorweihnachtlichem in der Gaisburger Kirche

Winter? Weit ist es ja noch nicht her mit ihm. Bei gefühlten zehn Grad Außentemperatur jedenfalls eilte man am Samstagabend durch Platschregen in Richtung Gaisburger Kirche, wo das SWR Vokalensemble seins traditionelles Vorweihnachtskonzert zu präsentieren pflegt. „Wintermusik“ war es in diesem Jahr tituliert – doch wie klingt er, der Winter?
Vielleicht so, wie ihn die polnische Komponistin Adrianna Kubica-Cybek in ihrem Stück „L´hiver“ imaginiert. Lang gezogene, sich in Sekundabständen reibende hohe Töne der Soprane evozieren zu Beginn einen eisig pfeifenden Wind, der einen beim Hören quasi die Schultern hochziehen lässt. In diese Stimmung hinein fallen dann die ersten Schneeflocken in Form absteigender Glissandotöne einzelner Sänger, die sich dann im weiteren Verlauf im ganzen Chor ausbreiten und zu einem veritablen Schneegestöber verdichten. Am Ende hört man von irgendwo sacht die Glocken verklingen. Kompositorisch ist das derart brillant gemacht, dass die Winterstimmung atmosphärisch zum Ausdruck kommt, ohne dass die Musik im mindesten plakativ wirken würde – der Kunstcharakter bleibt jederzeit erhalten.
Im Gegensatz zu Peteris Vasks „Plainscapes“ für Chor, Violine und Cello. Spätestens beim Einsetzen der Vogelstimmen offenbart sich die latente Oberflächlicheit von Vasks widerstandslos auf Wirkung abzielender Musik, die in starken Passagen immerhin wie gute Filmmusik klingt, in schwachen sich aber gefährlich in Kitschnähe bewegt. Die großartige Ausführung, hier unterstützt durch Alexander Knaak (Violine) und Dita Lammerse (Cello) soll diese Kritik nicht schmälern.
Blieb es doch auch das einzige künstlerisch fragwürdige Werk dieses Abends, das mit Arvo Pärts auratischem Magnificat berückend intensiv begonnen hatte. Dass, wie Chormanagerin Dorothea Bossert bei ihrer Begrüßung sagte, einige Tenöre krankheitshalber kurzfristig ersetzt werden mussten, fiel hier genausowenig auf wie in den überirdisch schönen Harmoniegewändern, in die der schwedische Komponist Jan Sandström Michael Praetorius´ „Es ist ein Ros entsprungen“ gekleidet hat. Pure Labsal für die Ohren. Arvo Pärts Berliner Messe, bei der Lars Schwarze den Orgelpart übernahm, wurde dann in drei Abschnitten gesungen, zwischen die zwei Vokaltranskriptionen aus der Feder Clytus Gottwalds über Werke von Ravel und Debussy geschoben waren – jede für sich ein Musterbeispiel kongenialer Bearbeitungskunst. Interessant dabei zu hören, wie sich die Beschränkung des Materials bei Pärt und die Ausdifferenzierung bei Gottwald an jenem Punkt trafen, wo es um Intensität des Ausdrucks geht: nicht die Mittel sind entscheidend, sondern die Art, wie sie eingesetzt werden. Was für ein Abend!

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