Sol Gabetta und das Estonian Festival Orchestra in Stuttgart

21.
Jan.
2024


Fast wirkt es ein bisschen kurios, wie Antonín Dvořák in seinem Cellokonzert h-Moll das Soloinstrument behandelt. Im ersten Satz dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis nach der Orchesterexposition endlich der Solist einsetzen darf. Im Finale dagegen scheint das Füllhorn an Melodien, die der Komponist dem Cello anvertraut, gar kein Ende zu nehmen – ja, fast könnte man meinen, Dvořák habe sich während des Kompositionsprozesses in das Instrument verliebt.
Verlieben konnte man sich am Samstagabend im Meisterkonzert ebenfalls: und zwar in die Art und Weise, mit der Dvořáks Werk von Sol Gabetta und dem Estonian Festival Orchestra unter der Leitung von Paavo Järvi aufgeführt wurde.
Seit über 20 Jahren nun ist Sol Gabetta eine feste Größe im Konzertleben, in ihren Konzerten hat sich die zierliche 42-Jährige aber eine Frische bewahrt, die ansteckend ist. Cellospielen ist toll – diesen Eindruck vermittelt sie! Wunderbar, wie sie im Kopfsatz mit dem Orchester dialogisiert, sich inspirieren lässt von der Phrasierungslust der Holzbläser. Im Adagio lässt sie, belebt durch sensibel dosierte Vibrati, die Kantilenen aufblühen und zeigt dann im Finale noch einmal das ganze Spektrum ihrer Meisterschaft: fast lässig wirken die stupend hingelegten Glissando-Doppelgriffe, intonatorisch bestechend sauber sind die Akkordbrechungen, die sie da in höchsten Cellolagen ausführt – und all das nie mechanisch, sondern eingebettet in den Fluss der Musik. Der Jubel nach dem Schlussakkord war groß, als Zugabe gab es, assistiert von der Cellogruppe des Orchesters, eine Preziose: „Song of the birds“, eine Art katalanische Hymne, die Pablo Casals immer nach seinen Konzerten im Exil zu spielen pflegte.
Nach der Pause dann Tschaikowsky – und zwar nicht eine seiner bekannten Sinfonien, sondern die mit 26 Jahren komponierte Erste, die in ihrer lebensbejahenden Diesseitigkeit nichts zu tun hat mit der schicksalsbeladenen Schwere der beiden letzten Sinfonien. Järvi hat ja sämtliche Sinfonien Tschaikowskis mit dem Tonhalle-Orchester Zürich aufgenommen, und seine Erfahrung mit dieser Musik beweist er auch an diesem Abend. Denn auf der sprichwörtlichen Stuhlkante musiziert das von ihm gegründete Orchester aus Estland, das vielleicht in den Streichern nicht über den Luxusklang etablierter Klangkörper verfügt, dies aber durch Brillanz und Spielfreude mehr als ausgleicht. Ein toller Abend, funkensprühend bis zur Zugabe: Hugo Alfvéns „Vallflickans“.

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