Beiträge der Kategorie ‘U-Musik’

Zum Auftakt der Jazz Open spielen RSO Stuttgart, SWR Vokalensemble und SWR Bigband

11.
Jul.
2014

Brückenschlag zwischen Jazz und E-Musik

Fast drei Stunden Programm mit neuen Werken, und am Ende des gut besuchten, von Götz Alsmann launig moderierten Konzerts im Beethovensaal Ovationen des begeisterten Publikum – das ist doch mal was! Zum Auftakt der Jazz Open Stuttgart hatte der SWR seine Stuttgarter Ensembles, das Radiosinfonieorchester, die Bigband und das Vokalensemble zu einem Konzert unter dem Titel „SWR Classix goes Jazz“ zusammengespannt. Fünf Komponisten hatten Werke geschrieben, die deren musikalische Sphären vereinen sollten – Brücken zu bauen zwischen Jazz und E-Musik. Freilich gibt es solche Werke längst: nicht nur George Gershwin, dessen „Concerto in F“ auch auf dem Programm stand, auch Komponisten wie Leonard Bernstein oder Darius Milhaud haben Jazz-Elemente in ihre Musik aufgenommen. Und auch zeitgenössische Bigband-Komponisten wie Maria Schneider haben sich längst vom Swing-Klischee emanzipiert in Form und Klang an moderner E-Musik orientiert. Es ging wohl dem SWR vor allem darum, seine drei Klangkörper gemeinsam auf die Bühne zu bringen – und dafür brauchte man eben passende Stücke. Die Komponisten sahen sich nun nicht bloß vor das Problem gestellt, dass sich Sinfonieorchester und Bigband besetzungsmäßig (Trompeten, Posaunen) überschneiden, auch Klischees sollten nach Möglichkeit vermieden werden: verweben statt kombinieren, so lautete ihr Auftrag.
Das gelang mal mehr, mal weniger gut, doch langweilig war das Konzert nie. Nicht Gregor Hübners „Clockwork interrupted“, das dem Aufeinanderprallen der Klangwelten von Bigband und Orchester interessante Facetten abgewinnt. Auch nicht Steffen Schorns „Three Pictures“, das mit diesen klanglichen Signaturen subtil spielt, dem aber das Bestreben anzumerken war, Bigband und Orchester auch als Kollektiv zu behandeln – trotz gewisser Längen das avancierteste Werk dieses Abends.
Heikel war die Aufgabe auch für jene Komponisten, die Chor und Bigband vereinen sollten – denn nach Gospelchor sollte es auf keinen Fall klingen. Ralf Schmid griff dazu auf Lieder aus Edvard Griegs „Peer Gynt“ zurück, die er allerlei rhythmischen und harmonischen Modulationen unterzog, blieb aber weitgehend dem Jazz-Idiom treu (Dirigent: Morten Schuldt-Jensen). Helge Sund nahm sich drei deutsche Volkslieder vor, die er auf raffinierte wie ironische Weise dekonstruierte und dabei Verfahrensweisen der neuen Musik spielerisch mit einbezog. Die gewichtigste Aufgabe, nämlich Bigband, Orchester und Chor in einem Werk zusammenzubringen, hatte man dem RSO-Fagottisten und Jazzsaxofonisten Libor Sima anvertraut, der sie mit Bravour löste. „I am the drum“ skandierte der Chor den Werktitel wie ein Motto, und getragen von einem rhythmischen Puls setzte Sima im Verlauf des Stücks die Klangelemente in virtuoser Manier in vielfältige Beziehungen, wobei vor allem Blech und Rhythmusgruppe stark gefordert waren. Ein starkes Stück, das ebenso stark beklatscht wurde.
Den stärksten Eindruck aber hinterließ Gershwins „Concerto in F“. Denn Gershwin gelang der Brückenschlag zwischen Jazz und E-Musik nicht äußerlich über die Besetzung – er entwickelte ihn aus der Sprache der Musik selber. Und besser als an diesem Abend mit dem großartigen Wayne Marshall am Klavier – der auch dirigierte – hat man das Stück wohl auch noch nie gehört. Aber wie gesagt: unterhaltsam war der Abend allemal. (StZ)

Zum Tod von Paco de Lucia

27.
Feb.
2014

Der Gott der Flamenco-Gitarre

Der spanische Jahrhundertmusiker war ein genialer Erneuerer des Genres.

Paco De LuciaPaco de Lucia, der Großmeister des Flamenco, ist tot. Wie die spanische Nachrichtenagentur efe berichtete, ist der Musiker mit 66 Jahren in Cancún (Mexiko) einem Herzinfarkt er­legen, als er mit seinen Kindern am Strand spielte. Eine Nachricht, die die Musikwelt trifft wie ein Keulenschlag. Denn Paco de Lucia war nicht nur ein weltberühmter Gitarrist – er war ein Idol, ein Jahrhundertmusiker, der von Vertretern vieler musikalischer Genres verehrt und speziell von ­Gitarristen aufgrund seiner einzigartigen Beherrschung des Instruments fast vergöttert wurde.
Noch im letzten Sommer hatte Paco de Lucia bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen ein umjubeltes Konzert gegeben. Von der Sologitarre über die klassische Besetzung Gitarre/Gesang bis zu bunt instrumentierten Ausflügen in die Weltmusik zeigte er an diesem denkwürdigen Abend noch einmal alle Facetten seiner Kunst, in deren Zentrum immer der Flamenco stand. Dessen Essenz in andere, populärere Genres transferiert zu haben, ohne ihn zu verwässern, darin dürfte Paco de Lucias größtes Verdienst bestanden haben. Denn eigentlich ist originaler Flamenco alles andere als leicht verständlich. Seine stolzen Gebärden – das Staccato der klopfenden Absätze, der kehlige Gesang, die Rhythmen der Gitarre – sind bloß die äußeren Merkmale einer im Grunde hermetischen Kunst, die sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat und deren Regeln und Abläufe nur Eingeweihte wirklich begreifen.
Paco de Lucia lernte sie bereits als Kind. Am 21. Dezember 1947 wird er als Francisco Sánchez Gómez in der andalusischen Hafenstadt Algeciras in eine Musikerfamilie geboren. Vater Antonio verdient seinen Lebensunterhalt als Flamencogitarrist, Pacos Schwester ist Sängerin, auch sein Bruder Pepe spielt Gitarre. Mit neun Jahren verlässt Paco die Schule und übt Gitarre, bis zu zehn Stunden am Tag. Mit vierzehn gewinnt er den Flamencowettbewerb von Jerez und nimmt gemeinsam mit seinem Bruder Pepe seine erste Platte auf. Er geht mit Flamencotruppen auf Tournee und avanciert zu einem beliebten Begleiter in jener Zeit, in der der Flamenco noch ausschließlich der Tradition verpflichtet ist. 1969 beginnt seine Zusammenarbeit mit dem legendären Sänger Camarón de la Isla, mit dem er neun Platten aufnimmt und es auch zum ersten Mal wagt, die eingefahrenen Flamencogleise etwas zu verlassen.
Der kommerzielle Erfolg stellt sich dann 1973 mit dem Instrumentalstück ‚Entre dos Aguas‘ ein, einem Ohrwurm, der auch Paco de Lucias Qualitäten als Komponist unter Beweis stellt. In den achtziger Jahren beginnt dann der Weltruhm: gemeinsam mit seinen Jazzgitarrenkollegen John McLaughlin und Al DiMeola geht de Lucia auf Tournee und nimmt unter anderem das Album ‚Friday Night in San Francisco‘ auf, das sich millionenfach verkauft.
Doch auch danach bleibt Paco de Lucia, der in einem Interview sagte, er habe nie seine Wurzeln vergessen, sonst würde er sich selbst verlieren, sich und dem Flamenco treu. 1987 produziert er mit ‚Siroco‘ noch einmal eine puristische Flamenco-platte und spielt 1991 sogar das berühmteste klassische Gitarrenkonzert ein, Joaquin Rodrigos ‚Concierto de Aranjuez‘ – eine singuläre Aufnahme, die die Essenz dieser Musik eindringlicher zum Ausdruck bringt als alle Konkurrenzeinspielungen.Nach 2000 zieht sich Paco de Lucia etwas aus dem Konzertleben zurück. Seine Auftritte werden seltener, nur noch zwei neue Platten kommen auf den Markt. ‚Cositas Buenas‘ von 2004 ist ein Juwel, womit er noch einmal alle Register seines Könnens zieht. Seine letzte Aufnahme ist ‚En Vivo‘, live eingespielt bei einer Konzerttournee in Spanien. Es gibt sie auch als ­Luxusausgabe mit einer DVD, darauf ist ein zwanzigminütiger Film zu sehen mit dem Titel ‚La inmortalidad de un concierto‘. Unsterblich. Das wird für viele auch der Musiker Paco de Lucia bleiben.(STZ)

Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys im Theaterhaus

06.
Jan.
2014

Begnadeter Entertainer

Ulrich-Tukur-Die-Rhythmus-Boys-3-Nein, von seiner Sorte gibt es sonst kaum noch welche in Deutschland. Mit dem Niedergang des Unterhaltungsfernsehens ist auch die Spezies der Entertainer so gut wie ausgestorben, jener moderierenden Multitalente, die auch singen und musizieren konnten. Beim Konzert von Ulrich Tukur und den Rhythmus Boys im ausverkauften T1 des Stuttgarter Theaterhauses waren zwar die meisten Besucher im fortgeschrittenen Alter, gleichwohl dürfte kaum einer davon jene goldene Zeit der Unterhaltungsmusik erlebt haben, aus deren Fundus Tukur und seine Begleitband an diesem Abend schöpften. Die Lieder von Komponisten wie Friedrich Hollaender oder Peter Kreuder sind in den 1920er bis -50er Jahren entstanden – also in einer Zeit, in der man noch nicht über political correctness diskutierte: man konnte damals noch Witze über Randgruppen machen, ohne dafür einen Shitstorm befürchten zu müssen. Insofern war dieses Konzert auch eine Art eskapistische Reise in eine Zeit, in der nicht nur die Unterhaltungsmusik besser, sondern auch das Leben insgesamt weniger kompliziert war. Zumindest denkt man sich das heute so.
Vor allem wurde man an diesem Abend ganz einfach glänzend unterhalten. Ulrich Tukur ist nicht nur ein hinreißend charmanter Conferencier und Witzeerzähler, dem man auch derbere Zoten nachsieht. Auch musikalisch übernimmt er meist die Führung, und auch wenn er als Sänger nicht ganz so überzeugend ist wie als Klavier- und Akkordeonspieler, so sind sein Charisma und seine Bühnenpräsenz wohl ohne Vergleich. Ganz klar, Tukur ist das Herz des von ihm bereits 1995 gegründeten Quartetts. Doch die Rolle der Rhythmus Boys, der „ältesten Boygroup der Welt“, ist nicht zu unterschätzen.
Denn die drei soignierten Herren im Smoking sind nicht nur solide Musiker, sondern auch begnadete Faxenmacher. Günter Märtens dürfte mit 2,05 Meter nicht nur einer der weltweit größten Kontrabassisten sein, sondern vermutlich auch der einzige, der die Kunst des Bauchtanzes beherrscht. Grade mal halb so groß ist Kalle Mews, der Schlagzeug spielt und ganz famos Tierstimmen imitieren kann.  Größenmäßig genau dazwischen liegt Ulrich Mayer, der Minimalgitarrist mit Schmalzhaar und Kassenbrille: mit weniger Tönen lässt sich schwerlich mehr Eindruck schinden. Am nachhaltigsten dürften freilich die Auftritte der Drei als dänische Kraftsportgruppe „Die drei Pölser“ in Erinnerung bleiben: sich posierend derart lächerlich zu machen – Chapeau!
Klar, dass Zugaben verlangt wurden: zunächst eine zwerchfellerschütternde Version von „Old Mac Donald“, dann, bei verdunkelter Bühne, „La Paloma“ mit herzzerreißend schluchzendem Akkordeon. Bye bye, Rhythmus Boys!    (StZ)

Wolfgang Dauner und sein Trio im Theaterhaus

02.
Jan.
2014

Anarcho am Klavier

daunerAls der Beifall nach der ersten Zugabe nicht enden will, setzt sich Wolfgang Dauner allein an den Flügel und spielt „Drachenburg für R.“. Das Stück hat er früher in seinem Trio mit Charlie Mariano und Dino Saluzzi oft gespielt, doch auch in der Soloversion entfaltet es seinen kontemplativen Zauber. Über dem repetierten Motiv der linken Hand breitet Dauner arabeskenhafte Melodien aus, manchmal ein wenig formelhaft, aber immer im Timing. Fast zehn Minuten geht das so. Langweilig ist es nie.
Das kann man durchaus über das ganze Konzert sagen, das Wolfgang Dauner zusammen mit seinem Sohn Florian am Schlagzeug und Dieter Ilg am Kontrabass am Neujahrsabend im ausverkauften T2 des Theaterhauses gegeben hat. Bekanntermaßen war Dauner immer ein Grenzgänger zwischen den Genres, der sich um Dogmen und Reinheitsgebote wenig geschert hat. Mit Rockmusik hat er ebenso wenig Berührungsängste wie mit klassischer Musik, sogar für Sinfonieorchester hat er Werke geschrieben. Dass er nun ein Konzert mit einem Klaviertrio gibt – also jener Gattung, die Pianisten wie Bill Evans, Brad Mehldau oder Keith Jarrett zur Vollendung getrieben haben – ist also zunächst einmal bemerkenswert.
Die drei beginnen mit einem relativ neuen Daunerstück, „2012+1“. Der Titel mag etwas kryptisch sein, das Stück aber ist in jenem rhythmisch vertrackten Stil, wie ihn Dauner liebt. Energetisch legt der Altmeister los, seine Mitmusiker steigen darauf ein, das hat Wucht und Drive, und allenfalls der etwas schlagzeuglastige Sound irritiert zunächst. Weiter geht’s mit zwei Stücken von Jerome Kern: der Ballade „Yesterdays“ und „All the things you are“, beides Jazzklassiker und unzählige Male eingespielt. Nun kommt es gerade beim Triospiel auf Kommunikation an: darauf, die Impulse und Ideen der Mitmusiker aufzunehmen, auf sie zu reagieren und sie weiterzuentwickeln, ohne dass der Spannungsbogen reißt. Eine heikle Balance zwischen improvisatorischer Freiheit und Bewahrung der Form, bei der man spürt, dass das Verständnis innerhalb dieses Trios noch wachsen kann: etwas schematisch wirken bei den beiden Standards die solistischen Einwürfe, etwas routiniert auch Dauners eigene Improvisationen.
Viel überzeugender ist das Trio bei Dauners Eigenkompositionen. Wie in „Hong Kong Fu“, wo Dauner mal den Anarcho raushängen lässt und die Klaviatur in Kampfsportmanier bearbeitet. Oder beim „Wendekreis der Steinbocks“, einem der bekanntesten Daunerstücke, das vom Publikum bereits nach den ersten Takten beklatscht wird. Überhaupt geht es nach der Pause deutlich gelöster zu. Vor allem Dieter Ilg zeigt, warum er zu den besten Jazzbassisten Europas gezählt wird, und auch Florian Dauner bekommt in „Trans Tanz“ noch einmal die Gelegenheit zu einem ausgiebigen Solo. Vater-Sohn-Beziehungen können schwierig sein. Diese scheint – zumindest auf der Bühne – zu funktionieren.(StZ)

Henning Kraggerud und Bugge Wesseltoft spielten bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

11.
Jul.
2013

Schlichte Schönheit

Foto:CF Wesenberg

Foto: CF Wesenberg

Das Bild, das man sich von fremden Ländern macht, speziell von solchen, die man nie bereist hat, ist zwangsläufig medial geprägt. Im Falle Norwegens imaginiert man Bilder von Fjordlandschaften, grünen Bergketten und einsamen Seen, was die Musik betrifft, so kommen einem Edvard Grieg und Jan Garbarek in den Sinn. Beim Nachdenken fallen einem noch der Jazzer Nils Petter Molvaer, der Pianist Leif Ove Andsnes und die Geigerin Vilde Frang ein. Und sonst?
Norwegen hat aber musikalisch noch mehr zu bieten: etwa den Geiger Henning Kraggerud und den Pianisten Bugge Wesseltoft. Die haben vor einem Jahr mit „Last Spring“ ein erfolgreiches Album mit Improvisationen über vorwiegend norwegisches Liedgut herausgebracht, aus dem sie nun bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen im Ordenssaal einige Stücke vorgestellt haben. Das Duo ist insofern ungewöhnlich, als Kraggerud ein klassisch ausgebildeter Geiger ist, der bereits mit renommierten Orchestern gespielt hat, Wesseltoft aber eher im Jazz zuhause ist. Doch Kraggerud kann auch improvisieren, und skandinavischer Jazz ist ohnehin ist ein eigenes Genre: mit Swing und Blues hat er wenig zu tun. Norwegische Jazzer mögen zwar von der amerikanischen Tradition beeinflusst sein, ihre musikalischen Wurzeln suchen (und finden) sie aber in der Volksmusik ihres Heimatlandes.
Und die beruht überwiegend auf alten, über Generationen überlieferten Melodien, die, wie die Musiker erzählen, ihnen als Kinder von ihren Müttern vorgesungen wurden. Schlichte, eingängige Weisen, die in ihrer Ruhe und Kontemplation von jenen fernen Zeiten berichten, als das Leben noch nicht so hektisch war wie heute.

Meist beginnen die Stücke im Ordenssaal mit dem Klavier, das einige Akkorde ausbreitet, in einem entspannten, von keinem strengen Metrum im Zaum gehaltenen Erzählton. Dann intoniert die Geige die Melodie und spinnt sie weiter, während Wesseltoft Harmonien unterlegt, die er immer wieder dezent mit Dissonanzen schärft. Seine harmonischen Abweichungen bringen immer wieder Spannung in das ansonsten überwiegend sehr getragene Musizieren: dass Kraggerud dagegen kein gelernter Jazzer ist, merkt man daran, dass sich seine Improvisationen in tonal übersichtlichen Gefilden bewegen, Varianten setzt er allenfalls klanglich, indem er seine Guarneri auch mal in höchsten Flageolettlagen aussingen lässt. Man muss sich einlassen auf diese Musik, die Zeit hat, viel Zeit, die ihre melodienselige Schönheit ungeschützt ausstellt und dabei riskiert, auch mal die Kitschgrenze zu streifen.
Bei diesen Klängen scheiden sich, je nach Temperament und Anspruch, schlicht die Geister. Wer in der Musik Entspannung und Seelenmassage sucht, wer sich in schönen Klägen einfach treiben lassen möchte, für den dürfte das Konzert die reine Labsal gewesen sein. Andere könnten die Musik nicht grundlos als weichgespülten Wellness-Jazz bezeichnen. Aber die dürften sowieso nicht in den Ordenssaal gekommen sein. (StZ)

Dee Dee Bridgewater und Lang Lang bei den Jazz Open

08.
Jul.
2013

Am Ende wird es dann doch noch die große Gala. Dee Dee Bridgewater singt hinreißend Cole Porters Evergreen „Let´s do it“, sie trägt High Heels und ein elegantes Kleid, ihr Schmuck funkelt im Schweinwerferlicht. Im Hintergrund säuselt dezent das RSO, der Starpianist Lang Lang klimpert dazu, Mini Schulz am Bass und der Schlagzeuger Obi Jenne liefern souverän das rhythmische Korsett, und es könnte wirklich nicht viel schöner sein an diesem lauen, sonnenverwöhnten Abend im Ehrenhof des Neuen Schlosses. Noch eine Zugabe in gleicher Besetzung, den Ella Fitzgerald-Hit „Stairway to the stars“, und auch hier braucht Dee Dee Bridgewater keinen Vergleich mit dem Original zu scheuen. Das Publikum ist zurecht verzückt, der Applaus riesig, und manch einer dürfte auf dem Heimweg noch Textfetzen leise nachgesummt haben: „Can’t we sail away on a little dream?“
Freilich war nicht alles derart traumhaft an diesem Abend. Der Erfolg der Jazz Open ist auch darauf zurückzuführen, dass es den Veranstaltern immer wieder gelingt, mehrheitsfähige Programme für unterschiedliche Publikumsschichten anzubieten, wobei der Jazz oft mehr ein Ausgangspunkt ist für stilistische Grenzüberschreitungen unterschiedlicher Art – in diesem Fall zur klassischen Musik. Die freilich findet in der Regel nicht unter freiem Himmel, sondern in Konzertsälen statt – und das gutem Grund, lebt sie doch vom (unverfälschten) Klang der Instrumente und verträgt akustische Störungen, wie sie bei einem Open Air-Konzert zwangsläufig auftreten, nicht gut. Ein Orchester wie das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zu verstärken, ist deshalb im Grunde ein aussichtsloses Unterfangen: im besten Fall tönt es via Lautsprecher erträglich, im schlechteren Fall, wie hier, klingen die Bläser matt und die Streicher nach Synthesizer. Insofern waren auch die Beiträge des RSO unter der Leitung seines Chefdirigenten Stéphane Denève ein zweifelhaftes Vergnügen, obwohl man mit Gershwins „An American in Paris“ und der „Rhapsody in Blue„ bewusst Jazzaffines ausgesucht hatte. Beim gefürchteten Glissandoeinstieg der „Rhapsody in Blue“ versagten zudem dem Soloklarinettisten die Nerven, und auch Klassikstar Lang Lang fand keinen rechten Zugang zu Gershwins spezifischem Idiom – Blues und Jazz sind sein Ding hörbar nicht. Ansonsten war der Chinese aber die ideale Wahl. Denn der Medienprofi hat, anders als die meisten seiner Klassikkollegen, keinerlei Berührungsängste mit solchen Großveranstaltungen. Er gibt dem Publikum, was es an so einem Abend will: Glanz, Virtuosität und ein bisschen Show.
Aus Chopins Grand Valse brillante Es-Dur op.18 holt er an Effekt heraus, was geht: beschleunigt das Tempo bis zum manuell Möglichen, um es dann mit dramatischer Geste abzubremsen, alles mit einer Körpersprache, die man auch auf den 50 Meter entfernten Tribünenplätzen noch mitbekommt. Dramaturgisch geschickt platziert ist das Es-Dur Nocturne op.55/2: die träumerischen Klänge breiten sich passend zur Dämmerung über den Platz aus.
Wenigstens ist zu dem Zeitpunkt auch die Catering Lounge auf der Tribüne abgebaut, denn die von dort oben lautstark herabdringenden Gespräche hatten zuvor ein konzentriertes Hören der Ramsey Lewis Band unmöglich gemacht. Die hatte den ersten Programmteil mit gepflegtem, aber auch ein wenig langweiligem Altherrenjazz bestritten, der erst dann in Schwung kam, als der Bandleader zugunsten von Dee Dee Bridgewater und deren Pianisten Edsel Gomez Platz machte: Deren kurzer Auftritt war ein Höhepunkt des Abends.
Stimmlich ist die 63-Jährige Bridgewater ein Mirakel. In „Somewhere over the rainbow“ erreicht sie trotz ihrer eher tiefen Stimmlage auch Sopranhöhen noch bestechend sicher, und was ihr etwas steifer Begleiter Lang Lang (der sich dabei umblättern lässt) hier an Timing vermissen lässt, gleicht sie mit Routine locker aus. Sie scattet, tanzt, scherzt und wickelt das Publikum mit ihrem Charme um den Finger. Es ist, ganz klar, ihr Abend. Und es ist Jazz.  (StZ)

Die Preisträger von „Hugo Wolf und der Song“ in der Ludwigsburger Musikhalle

04.
Jul.
2013

Der Pop im Wolfspelz

Dem Kunstlied geht es schlecht. Liedkonzerte finden immer weniger Publikum, und das, obwohl es gerade in Deutschland hervorragende Sänger und Liedbegleiter gibt. Dass Jüngere sich heute eher schwertun mit den Schöpfungen eines Hugo Wolf oder Franz Schubert könnte auch daran liegen, dass sie sich mit ihrer Lebensrealität in den Texten von Goethe oder Eichendorff nicht unbedingt wiederfinden – zumindest nicht auf den ersten Blick.
Einen – möglicherweise entscheidenden – zweiten Blick darauf zu wagen und daraus Inspirationen für das eigene Songschreiben zu entwickeln – dieser Gedanke stand Pate bei dem Gemeinschaftsprojekt „Hugo Wolf und der Song“ zwischen den Ludwigsburger Schlossfestspielen, der internationalen Hugo-Wolf-Akademie und der Popakademie Mannheim. Studenten der Popakademie waren dabei aufgerufen, sich mit dem Schaffen Hugo Wolfs auseinanderzusetzen und im Rahmen eines Song-Writing-Wettbewerbs eigene Songs zu kreieren, die drei Preisträger durften dann in der Ludwigsburger Musikhalle ihre Songs im Rahmen des Festspielprogramms vorstellen.
In der Theorie klingt das schlüssig: junge Musiker an die hehre Liedkunst heranzuführen und dabei Stilgrenzen zu überschreiten – tolle Sache eigentlich. So dachte wohl auch das Auswahlgremium des Innovationsfonds Kunst des Landes Baden-Württemberg, aus dem das Projekt gefördert wurde.

Nach dem Auftritt der drei preisgekrönten Sänger muss man allerdings sagen: Theorie ist das eine, Praxis das andere. Nüchtern betrachtet hörte man an dem Abend in der überlaut ausgesteuerten Musikhalle drei mehr oder weniger originelle junge Popbands mit Musik, wie sie solche Bands eben heute machen: ziemlich rockig, in der Standardbesetzung mit E-Gitarre, Bass, Drums und Keyboard und selbst verfassten Texten, denen freilich eine gewisse poetische Ambitioniertheit durchaus anzumerken war. „Die Erwartungen an mein Leben“, so dichtete der erste Preisträger Rainer Ammann, „… ich schmelze sie ein in unsre Vergangenheiten/häng sie mir um wie ein kostbares Amulett/Alles silberne Sekunden aus alten Zeiten/ich trag sie stets auf meinem Weg“. Hier hat die klassisch-romantische Lyrik, wie sie Hugo Wolf vertonte, Spuren hinterlassen. Aber ob das zum Popsong wirklich passt? Denn manchmal bleiben die Metaphern auch flach, und das klingt dann leicht wie Helene Fischer: „Du und dein Himmelblick/ich kann sie förmlich sehn/deine Gedanken wie sie tanzen/und Pirouetten, Pirouetten drehen“.
Aber sie haben sich merklich angestrengt, die jungen Barden. Auch der zweite Preisträger David Kirchner, der vom Mondlicht singt, das „sich in die Straßen legt“ und „die Sonnenwärme wegfegt“, und von „der Zeit, die sich die Adern legt“. Hübsch romantisch. Aber ist das wirklich seine Sprache? Oder versuchte er bloß, möglichst gut den Wettbewerbskriterien zu entsprechen? Weitaus überzeugender ist Rainer Ammanns anderes Bandprojekt „Die Herren Schneider“. Nicht nur, weil sie (wie auch Hugo Wolf), Texte von gestandenen Dichtern vertonen, sondern weil sie in Verbindung mit einer coolen Bühnenperformance auch musikalisch eigene Wege gehen. Sie erhielten (nur) den dritten Preis.
Was das nun alles mit Hugo Wolf zu tun hatte? Eigentlich nichts. Der Abend zeigte, dass Pop Pop und Kunstlied Kunstlied ist und daran auch ein gut gemeinter Wettbewerb nichts ändert. Und wenn das Kunstlied wirklich aussterben sollte, wäre es zwar jammerschade – doch Rettung aus der Popakademie ist nicht zu erwarten. Über die Ankündigung deren Leiters Udo Dahmen, den Wettbewerb nun jährlich auszutragen, sollte man nochmal gut nachdenken.(StZ)

Mnozil Brass bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

17.
Jun.
2013

Es geht um die Wurst

MnozilWar das eben nicht ein Thema aus dem Tannhäuser? Und das ist doch aus dem Parsifal, oder nicht? Für ihr neues Programm „Hojotoho“  hat sich die Wiener Anarchobläsertruppe Mnozil Brass tief in das Werk Richards Wagners gewühlt und aus den Fundstücken eine zweistündige Revue gebastelt, die auch den im Dechiffrieren geübten Wagnerkenner gelegentlich auf falsche Fährten führen kann: denn was da in der Ouvertüre so verdächtig holländert und lohengrint, hat der Mnozil-Posaunist Leonhard Paul einfach im Wagner-Stil nachkomponiert. Doch nicht bloß auf diese Weise schlagen Mnozil Brass den Hörerwartungen beständig Schnippchen, denn auch originaler Wagner erfährt die erstaunlichsten Wendungen. Da kippt der Walkürenritt in Klezmer, die Meistersingerouvertüre in einen Hollywoodsong, Wolframs Lied an den Abendstern wird gar zu einem Schlager, der hier von einem lederbehosten Siegfried mit Karohemd gesungen wird.
Das szenische Korsett ist eher locker gestrickt: es geht da kreuz und quer durch Wagners Oeuvre, vom Gral nach Nibelheim, weiter zum Venusberg, nebenbei schaut man auch mal bei Aida in Ägypten vorbei, doch werden dramaturgische Klippen mittels komödiantischem Geschick locker umschifft. Und es gibt da ja noch dieses Ding, das, quasi als requisitäres Leitmotiv, die Szenen zusammenhält: die Wurst, um die es bekanntlich bei Wagner immer geht, ist hier nämlich wirklich eine, und so wird das aus dem Urgrund des Rheins aufsteigende Es-Dur-Wabern quasi ein Brotzeit-Präludium. Grandios.
Auch sonst ist das (im Übrigen von der Stadt Bayreuth in Auftrag gegebene) Programm eine Riesengaudi, die, neben Slapstick und Situationskomik, vor allem wegen ihrer musikalischer Brillanz begeistert. Denn Mnozil Brass sind ein Blechbläserensemble mit einer Spielkultur und technischen Perfektion, wie es sie weltweit kaum ein zweites Mal geben dürfte. Das Publikum im ausverkauften Ludwigsburger Forum jedenfalls kannte am Ende kein Halten mehr, und dass Mnozil Brass das Programm am 07. JuIi dortselbst wiederholt, dürfte für viele kein Trost sein: auch dieser Abend ist längst ausverkauft.    (StZ)

Paco de Lucia spielte bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

16.
Jun.
2013

Der Meister aller Klassen

pacodelucia6_0Gegen Ende des Konzerts bekam Antonio Sánchez, der Begleitgitarrist von Paco de Lucia sogar noch die Gelegenheit zu einem kleinen Duell. Der Großmeister gab die Motive vor, sein Sekundant  imitierte sie, und so entsponn sich eine Zeit lang ein höchst vergnüglicher Wettstreit zwischen den beiden. Erst als Paco de Lucia das Tempo erhöhte und einige seiner maschinengewehrartigen Tonleitersalven abließ, merkte man, dass bei Sánchez die Synchronisation von rechter und linker Hand an ihre Grenzen kam – während der Meister wohl ohne Probleme noch hätte zulegen können.
Was Paco de Lucia mit der Gitarre macht, entzieht sich herkömmlichen Maßstäben, Generationen von Gitarreneleven hat seine unfassbare Virtuosität schon in die Verzweiflung getrieben. Aber nicht nur in Flamencokreisen wird er fast wie ein Guru verehrt, auch in der klassischen Gitarrenszene ist er ein Vorbild. Und durch die Zusammenarbeit mit Jazzgrößen wie John McLaughlin („Friday Night in San Francisco“) ist Paco de Lucia gar genreübergreifend ein Star geworden, der die eher hermetische Kunstform des originalen Flamenco durch die Erweiterung mit Elementen aus Jazz und Weltmusik populär gemacht hat.
Da er aber nur noch selten auftritt (es gibt nur noch ein weiteres Konzert in Deutschland in diesem Jahr) war das Konzert im Ludwigsburger Forum rasch ausverkauft. Paco de Lucia kam mit seinem siebenköpfigen Ensemble: zwei Sänger, Perkussion, Keyboard, Bass, Gitarre, dazu mit Antonio Fernández Montoya ein Tänzer, der zwar das Publikum mittels seiner rasenden Hacken zu Ovationen anstachelte, dessen reichlich outrierte, an Michael Jackson erinnernde Darbietung aber eher in die Kategorie Showflamenco einzuordnen ist.
Das Programm setzte sich überwiegend aus Stücken der letzten CD „En Vivo“ zusammen, statt des im Abendprogramm angekündigten Rumba „El cafetal“ spielte man die Bulerias „Soniquete“. Auf der Bühne hatte man einige Kunstpalmen aufgestellt, was wohl andalusisches Flair evozieren sollte. Den Anfang  bestritt der Meister solo. In den „Variaciones de Minera“ ließ er schon mal anklingen, was seine singuläre Kunst ausmacht: auf den Punkt gespielte Rasgueados, blitzsaubere Tremoli und einige seiner ansatzlos abgefeuerten Tonleiterpassagen. Auch im Zusammenspiel mit seinen im Halbrund um ihn herum aufgestellt Mitmusikern blieb Paco de Lucia immer das Zentrum – obwohl einige die Gelegenheit zu ausgedehten Soli erhielten. So konnte sich der Keyboarder auch als Mundharmonikavirtuose profilieren, der E-Bassist bewies staunenswerte Fingerfertigkeit. Gegen Ende mündete der unvergessliche Abend in eine Art Flamencosession, die noch stundenlang so hätte weitergehen können. Em Ende Ovationen, rhythmisches Klatschen und „Paco!“-Rufe.  (StZ)

Giora Feidman spielte im Theaterhaus Stuttgart

07.
Jun.
2013

Da singt der ganze Saal

FeidmanAn klassischen Maßstäben gemessen wäre Giora Feidmans Klarinettenspiel wohl untragbar. Denn der „schöne“, möglichst geräuschfreie Ton, wie er in klassischen Sinfonieorchestern gefordert wird, ist Feidmans Sache nicht, besser gesagt, nicht mehr – schließlich war er 18 Jahre lang Klarinettist im Israel Philharmonic Orchestra, bevor er Anfang der 70er Jahre seine Karriere als Klezmer-Musiker begann. Heute ist Feidman einer der berühmtesten Instrumentalisten dieser Stilrichtung und kann mit seiner Klarinette viel mehr als nur schöne Töne spielen: er kann sie schreien und lachen, weinen und schluchzen lassen, ja, unter seinen Händen wird das Rohrblattinstrument zu einem Ausdrucksmittel, das in seiner Vielfalt der menschlichen Stimme nahekommt.
Seit einigen Jahren konzertiert der rastlose, vor allem in Deutschland ausgesprochen populäre Musiker auch mit dem Gershwin-Streichquartett. Dessen Name bezieht sich freilich nicht auf den amerikanischen Komponisten, sondern auf seinen Primarius, den Geiger Michel Gershwin – eine Namensgleichheit, die marketingtechnisch nicht von Nachteil sein dürfte. Dass sich die vier Streicher ebenfalls gern in den Grenzgebieten jenseits des klassischen Repertoires aufhalten, macht sie zu einem idealen Partner für Giora Feidman, dem solche Klassifizierungen bekanntermaßen nichts bedeuten: Es sei nicht wichtig, was, sondern wie man spiele, lässt Feidman im Programmhefttext wissen. Dementsprechend erlebte man im gut besuchten Theaterhaus unter dem Titel „Panamericana“ einen überaus unterhaltsamen Abend, bei dem sich U und E, Klezmer, Jazz, Klassik und Volksmusik über alle Genregrenzen hinweg begegneten. Dass dabei auch Hebräisches wie „Hawa Nagila“, Jiddisches wie „Donna Donna“ und allerlei Vermischtes aus dem Fundus der klassischen europäischen Musik dem Amerikanischen zugeschlagen wurden – sei´s drum. Mit Spirituals wie „Nobody knows the trouble“, dazu Blues, Folk sowie Tangos von Astor Piazzolla wurde  der Kontinent ja hinreichend gewürdigt. Die Begeisterung des Publikums gründete ohnehin vor allem in der emotionalen, mitreißenden Art, mit der Feidman und das Gershwin-Quartett die effektvollen Arrangements spielten. Und nicht zuletzt ist der 77-Jährige Feidman auch ein ausgebuffter Bühnenprofi, der das Publikum um den Finger wickeln kann: auf eine kleine Aufforderung bringt er den ganzen Saal zum Singen. Das muss ihm erst mal einer nachmachen. (StZ)