Beiträge der Kategorie ‘E-Musik’

Das Orchestra dell´Accademia Nazionale die Santa Cecilia mit Janine Jansen

23.
Jan.
2020

Schumann alla Italiana

Wenn das Orchestra dell´Accademia Nazionale die Santa Cecilia beim Meisterkonzert im Beethovensaal im regulären Programm schon Mendelssohn und Schubert gespielt hatte, musste es – so dachte man sich während des Konzerts – doch wenigstens mit den Zugaben noch eine nationale Visitenkarte hinterlassen. Und so geschah es. Mozarts Ouverture zu „Le nozze di Figaro“ mag ein bisschen italienisch sein. Respighis „Italiana“ aus den „Antiche danze ed arie“ ist es dafür richtig.
Wobei sich Italianità schon vorher eingestellt hatte. Denn das von Antonio Pappano dirigierte Orchester verfügt nicht nur über einen dezent geschärfteren, strafferen Klang als die meisten deutschen Klangkörper. Es musiziert auch mit einer Haltung, bei der rhythmische Spannung und Kantabilität immer an erster Stelle stehen. Das wurde schon beim Eingangsstück, Beethovens selten gespielter Ouvertüre zu „König Stephan“ op. 117 deutlich, wo man Mühe hatte, die Füße stillzuhalten. Das folgende Violinkonzert e-Moll op. 64 von Mendelssohn war dann aber nichts weniger als eine (Neu-)definition jenes Begriffs, den der Komponist als Vortragsanweisung für das Allegro des ersten Satzes verwendet hat: Appassionato. Nun gilt Janine Jansen ohnehin schon als eine der emotionalsten Vertreterin ihres Fachs. Hier aber bot die niederländische Geigerin, befeuert von Pappano und den römischen Musikern, eine derart mitreißende, leidenschaftliche Wiedergabe dieses gern mal als „klassizistisch“ bezeichneten Stücks, dass einem – wieder einmal – begreiflich wurde, was „Romantik“ eigentlich bedeutet. Jansen spielte, als ginge es um ihr Leben, gleichermaßen mit heißem Herzen und kühlem Verstand, disponierte klug Entwicklungen und formte mit Hingabe Motive und Phrasen. Der Beifall war entsprechend, die Loure aus Bachs 3. Violinpartita als Zugabe ein – weiteres – Geschenk.
Nach der Pause dann Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die sogenannte „Frühlingssinfonie“, die hier so viel mediterrane Leichtigkeit und Lebendigkeit vermittelte, dass man sie auch mit „Primavera“ betiteln könnte: Kaum zu glauben, wie viel sich an Dramatik und theatral-opernhafter Gestik in diesem Werk verbirgt! Das Orchester mag nicht immer mit letzter Präzision spielen – Perfektion überlässt man gerne anderen. Was aber ein Beweglichkeit im Metrum, Temperament und Spielfreude bewirken können, machte dieses Konzert auf ziemlich überwältigende Weise deutlich. Grazie, Sir Pappano!

Die Cappella Gabetta bei Faszination Klassik

12.
Dez.
2019

Tempo ist nicht alles

Musiker kennen das: Wenn man Stücke über eine längere Zeit spielt, sind sie irgendwann komplett im motorischen Gedächtnis abgespeichert. Die Finger finden ihren Weg dann quasi von allein, was einerseits erwünscht ist – da es den Kopf entlastet – andererseits aber auch Gefahren birgt: nimmt nämlich die Routine überhand, bleibt der emotionale Nachvollzug des Werkes leicht auf der Strecke. Übrig bleibt dann eine mehr oder weniger mechanische Ausführung ohne innere Beteiligung, und einen solchen Eindruck konnte man am Mittwochabend beim Konzert der Cappella Gabetta im Beethovensaal gewinnen. Das argentinische Ensemble spielte ein Programm mit Barockmusik, darunter den Dauerbrenner schlechthin, Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Trotz der Vogelstimmen, die vor Beginn des „Frühlings“ im Saal eingespielt wurden, vermittelte sich aber wenig von der Atmosphäre dieser Musik. Statt kammermusikalisch zu kommunizieren schien jeder Musiker an seinen Noten zu haften, an Stelle organischer Phrasierung ratterte der musikalische Puls mehr oder weniger mechanisch durch. Im „Winter“ schien der Konzertmeister und fingerflinke Solist Andrés Gabetta gar einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen zu wollen: Rasche Tempi aber – auch das ist bekannt – garantieren noch keinen musikalischen Ausdruck.
Nun war das Ensemble bereits 2011, ein Jahr nach seiner Gründung, ebenfalls in der Vorweihnachtszeit mit diesem Stück im Beethovensaal zu Gast. Allerdings war damals noch Sol Gabetta mit von der Partie. Mit der attraktiven Weltklassecellistin öffneten sich für das klein besetzte Barockorchester und dessen Konzertmeister Andrés Gabetta, dem Bruder der Cellistin, die Tore zu den großen Konzertsälen der Welt, einige der CD-Einspielungen erreichten die Spitze der Klassikcharts. Mittlerweile spielt das Orchester auch mit anderen Solisten, an diesem Abend war das Sergei Nakariakov. Der 42-jährige Russe ist einer der wenigen Trompeter, denen eine internationale Solokarriere gelungen ist – warum, das wurde gleich in der ersten Konzerthälfte, bei Johann Baptist Georg Nerudas Konzert für Streicher und Trompete, klar. Nakariakov adelte das schlichte Werk mit seinem klangschönen, in jeder Lage ausgewogenen Spiel, nutzte die Kadenzen zu einigen brillanten Figurationen und nahm bereits viel Applaus mit in die Pause.
Der steigerte sich, als Nakariakov in Bachs berühmter „Air“ aus der 3. Orchestersuite wieder solistisch in Erscheinung trat und nahm Ovationsstärke an, als er in einer Bearbeitung eines Vivaldischen Cellokonzerts für Flügelhorn (!) abermals mit seiner stupenden Spieltechnik verblüffte. Die Cappella Gabetta aber blieb auch dabei vergleichsweise blass. Ob sie auch ohne die berühmte Sol in die Liga gehört, in der sie gehandelt wird?

Das 3. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart

08.
Dez.
2019

Keine Angst vor Nebenwirkungen!

 

Gäbe es für dieses Konzert einen Beipackzettel, so könnte man unter Risiken und Nebenwirkungen vielleicht Folgendes lesen: Verstörung, Erschütterung, leichte Angstzustände, in seltenen Fällen sind auch Schwindel sowie Irritationen des Gehörs möglich. Dennoch sollte der geneigte Musikliebhaber auf keinen Fall auf dieses Programm mit dem Staatsorchester verzichten, würde er damit doch eines der großartigsten Werke verpassen, die das sinfonische Repertoire zu bieten hat (und einen der besten Pianisten auch, aber dazu gleich mehr).
Dmitri Schostakowitschs vierte Sinfonie mag nicht so bekannt und zugänglich sein wie die erste oder fünfte, aber was sich darin an musikalischen Haltungen und stilistischen Anklängen verbirgt, ist ungeheuer. Unter Stalins Todesdrohung quasi im Verborgenen komponiert, stieß Schostakowitsch damit das Tor zur Moderne weit auf – vergleichbar Eindringliches, Existenzielles findet sich in der Musikgeschichte kaum. Noch am ehesten vielleicht in der Sinfonik Gustav Mahlers, und damit sind wir beim Dirigenten Jonathan Nott, der das Staatsorchester an diesem Sonntagmorgen im Beethovensaal zu einer so leidenschaftlichen, spieltechnisch brillanten Leistung geführt hat. Denn bekannt wurde Nott als Dirigent von Mahlers Sinfonien, von denen er mit den Bamberger Symphonikern Referenzaufnahmen eingespielt hat. Und ähnlich wie die Musik Mahlers ist auch die Schostakowitschs von Gegensätzen geprägt. Maschinenhafte Rhythmen, Volksmusikanklänge und desolate Lamenti prallen hier collageartig aufeinander und Nott lässt all diese divergenten Haltungen kompromisslos ausspielen, rhythmisch und klanglich geschärft.
Für Fans von Wohlfühlklassik ist das eher nichts – auch nicht der Rest des Programms mit Richard Strauss´ „Burleske“ für Klavier und Orchester und Isabel Mundrys “Endless Sediments“. Letzeres spielt sehr apart mit Klangchiffren und Raumwirkungen, bleibt aber insgesamt doch recht unverbindlich, während Strauss´ Burleske in ihrer Vielschichtigkeit und ambivalenten Grundhaltung durchaus Parallelen zu Schostakowitsch aufweist. Dass sie selten gespielt wird, dürfte auch an den Schwierigkeiten des Klavierparts liegen. Kirill Gerstein, in Deutschland immer noch wenig bekannt, hat diese Kniffligkeiten nicht nur mit staunenswerter Bravour gemeistert, sondern blieb dabei auch mit dem Orchester immer in kammermusikalischer Kommunikation verbunden. Was für ein Erlebnis!

 

Die Stuttgarter Philharmoniker mit Martin Stadtfeld

24.
Nov.
2019

Sinfonische Grundversorgung

Müsste man sich auf ein sinfonisches Basisrepertoire verständigen, dann gehörte Beethovens 6. Sinfonie unbedingt dazu. Dabei ist die „Pastorale“ ja auch vor allem deswegen berühmt, weil sie als sogenannte Programmmusik hörendes Verstehen ermöglicht, ohne dass man dabei die Sonatenhauptsatzform ständig im Hinterkopf haben müsste: Vogelgezwitscher, Donnergrollen – das bekommt man selbst als musikalischer Laie mit. Dass die Pastorale trotz ihrer Beliebtheit relativ selten auf Konzertprogrammen auftaucht, dürfte wohl damit zusammenhängen, dass man damit als Orchester schwer etwas gewinnen kann: jeder kennt sie, und angesichts der Vielzahl hervorragender Aufnahmen hängt die Latte hoch. Umso dankbarer muss man sein, wenn sich die Stuttgarter Philharmoniker in ihrem Abokonzert der Großen Reihe zur sinfonischen Grundversorgung bekennen. Unter der Leitung des gebürtigen Stuttgarters Ulrich Kern als Gastdirigent durfte man im Beethovensaal eine respektable Interpretation hören, die den Fokus auf eine plastische, eher mit dem farbsatten Pinsel als dem Konturenstift gezeichnete Darstellung der Szenen gerichtet hatte, beginnend mit dem stimmungsvoll ausgespielten Eintreffen der Landleute und kulminierend in einer eindrucksvoll drastischen Gewitterszene.
Dagegen ist die Ouvertüre zu Étienne-Nicolas Méhuls Oper „Uthal“ musikalische Durchschnittskost, wie sie im 18. Jahrhundert häufig auf Programmen zu finden war: effektvoll, aber in der Wahl der musikalischen Mittel konventionell – kreuzbieder im Vergleich zu Beethoven, dessen Rang als führender Komponist seiner Zeit auch durch seine revolutionären Klavierkonzerte belegt ist. Das Konzert Nr. 1 C-Dur op.15, eigentlich als zweites komponiert, steckt voller musikalischer Überraschungen und ist immer wieder aufs Neue bestechend in seiner Verbindung von Witz, Poesie und Ernsthaftigkeit. Allerdings hätte es an diesem Abend einen besseren Interpreten verdient gehabt als Martin Stadtfeld. Der 39-Jährige Pianist verfügt weder über die Anschlagsvariabilität noch die rhythmische Sicherheit für diese komplexe Musik. Die Ecksätze hämmerte er monochrom hart herunter und verlor dabei immer wieder das Metrum aus dem Blick, wodurch Ulrich Kern alle Hände voll zu tun hatte, das sinfonische Ganze zusammenzuhalten. Vor allem im Rondo dann kein Anflug von Esprit, gar Eleganz – eine verschenkte Chance angesichts der Vielzahl toller junger Pianisten.

Bachakademie in den Wagenhallen

18.
Okt.
2019

Coole Kantate.

Ist das Kunst oder kommt das wieder weg? Oder sind es vielleicht Akustikelemente? Einige Besucher standen ziemlich unschlüssig vor den Palettenstapeln in den Wagenhallen, in die die Bachakademie Stuttgart zum ersten Konzert ihrer neuen Reihe „Hin und weg!“ geladen hatte. Überhaupt war in manchen Gesichtern ein gewisse Irritation auszumachen, viele der Besucher dürften zum ersten Mal einen Fuß in das renovierte Vorzeigeobjekt gesetzt haben. Nun geht es der Bachakademie ja eher darum, durch neue Räume – oder sollte man besser locations sagen? – auch ein neues Publikum anzusprechen, das den Weg in die Liederhalle mit ihrem piefigen Ambiente scheut. Jüngere Menschen waren an diesem Abend freilich nur vereinzelt zu sehen, und die Frage ist ohnehin, ob der trendig-heimelige Industriecharme der Wagenhallen zu geistlicher Musik wie einer Bachkantate passt. Kantate, cool? Von den Gegebenheiten dort einmal abgesehen: die trockene Akustik, ideal für verstärkte Konzerte wie sie dort in der Regel stattfinden, ist für unverstärkte Musik ein echtes Handicap. Wer dicht an der Bühne saß – etwa 400 Sitze hatte man aufgestellt, die praktisch alle besetzt waren – bekam so eine Art Tonstudioakustik präsentiert: Instrumente und Sänger waren fast einzeln herauszuhören.Mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ hatte man eine der bekanntesten Bachkantaten ausgesucht, dazu war die Gaechinger Cantorey in adäquater Kleinbesetzung nebst drei Vokalsolisten (Isabel Schicketanz, Sopran, Christopher Renz, Tenor, Martin Schicketanz, Bass) angetreten. Präsentiert wurde die Kantate in einem bewährten Format: dem des Gesprächskonzerts rillingscher Prägung nämlich, bei dem Hans-Christoph Rademann neben der Rolle des Dirigenten auch die des Moderators einnahm. Zunächst wurde das Werk einmal ganz gespielt, dann erklärte Rademann den gleichnishaften Charakter der Texte, in denen die Beschreibung einer Hochzeit für die Verbindung zwischen Jesus und den Menschen steht. Und selbst wenn der sächselnde Rademann mit seiner Vermittlerrolle noch etwas zu fremdeln scheint, lauschte man seinen Ausführungen gern – und freute sich vor allem deshalb darüber, das Stück am Ende ein zweites Mal zu hören, weil insgesamt fabelhaft gespielt und gesungen wurde. Ob das Konzept aber als Mittel gegen Publikumsschwund taugt? Ob eine säkularisierte Gesellschaft überhaupt noch geistliche Musik braucht? Man darf skeptisch bleiben.

 

Der Hornist Felix Klieser

17.
Okt.
2019

Das Leben nehmen, wie es kommt

Eigentlich liest sich die Karriere von Felix Klieser wie die anderer Klassikstars. Früh, mit fünf Jahren, begann er mit dem Instrumentalunterricht, gewann rasch allerlei Preise. Mit 13 wurde er als Jungstudent an der Musikhochschule Hannover aufgenommen, spielte bald im renommierten Bundesjugendorchester. 2013, Klieser war 22, erschien sein Debutalbum, zwei Jahre später erhielt er den „ECHO KLASSIK“ als Nachwuchskünstler des Jahres. Das wäre allein schon eine tolle Leistung, die einem aber nachgerade wie ein Wunder vorkommt, wenn man bedenkt, mit welchem Handicap er gestartet ist: denn Felix Klieser wurde ohne Arme geboren. Abrachie nennt man das in der Medizin, eine selten vorkommende Laune der Natur, die das Spielen eines Instruments, auf professionellem Niveau zumal, eigentlich unmöglich macht. Dazu kam, dass in Kliesers Elternhaus nicht musiziert wurde, sodass sein bereits mit vier Jahren geäußerter Wunsch „Ich möchte Horn spielen“ zunächst auf Unverständnis stieß. Ausgerechnet Horn, dieses wegen seiner anfälligen Spieltechnik schwierigste aller Blechblasinstrumente! In der Musikerszene nennt man es nicht ohne Grund „Glücksspirale“, weshalb man an der Musikschule, an die sich Kliesers Eltern schließlich wandten, den Steppke auch zum Xylophon überreden wollte. Ohne Erfolg. Felix blieb standhaft und erhielt schließlich den ersehnten Unterricht, wobei er er lernen musste, die Ventilklappen mit dem linken Fuß zu bedienen, was ziemliche Verrenkungen erfordert. Das macht er so bis heute, doch während er als Kind das Horn noch vor sich auf den Boden stellte, baute ihm später ein Instrumentenbauer einen Ständer, an dem er es befestigen kann. Blieb ein Problem: das sogenannte „Stopfen“, das Modulieren des Tons im Schalltrichter, das Hornisten mit der rechten Hand ausführen. Doch auch dafür hat Klieser eine Lösung gefunden. Durch jahrelanges akribisches Probieren und Forschen gelang es ihm, allein durch Veränderungen der Zungenstellung und des Mundraums die entsprechenden Klangfarben zu erzeugen. Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Er sei kein Wunderkind gewesen, sagt Klieser, der überzeugt ist, dass Talent zwar wichtig, aber längst nicht das Entscheidende ist. „Alle großen Solisten sind hart arbeitende Menschen“.
Ein verbissener Typ ist Felix Klieser gleichwohl nicht, im Gegenteil. Seinen Erfolg sieht er als Geschenk – er habe es nie geplant, Hornsolist zu werden. Gut möglich, dass seine Behinderung sogar mit zu seiner Popularität beigetragen hat, ein Hornist ohne Arme, wann gibt es das schon. Doch gerade weil seine Karriere bisher so glatt verlaufen ist, ist Felix Klieser vorsichtig, was das Pläneschmieden anbelangt. „Als es mit Anfang 20 richtig losging, habe ich gedacht: Ich freue mich, wenn das jetzt ein paar Jahre so läuft. Jetzt mache ich es schon ein paar Jahre länger, und es funktioniert immer noch.“
Alles für seine Leidenschaft, das Hornspielen, zu tun, ansonsten das Leben aber zu nehmen, wie es eben kommt: danach lebt Klieser. Und zurzeit kommt einiges. Sein Konzertkalender ist prall gefüllt, seine in diesem Jahr erschienene CD mit Mozarts Hornkonzerten wird von der Fachpresse in höchsten Tönen gelobt. Zwei dieser Konzerte spielt Klieser heute abend mit den Festival Strings Lucerne im Beethovensaal, den Klieser für seine Akustik besonders schätzt: Man könne da als Hornist klanglich alles machen, ohne dass der Saal an Grenzen stoße.
Ansonsten zähle aber gerade Mozarts Musik für ihn zum Schwierigsten. „Musikalisch steckt da so viel drin. Ich denke dass man als Mensch sehr reifen muss, um das alles zu verstehen. Das sind keine Stücke für Kinder.“

Diana Haller und Johannes Kammler beim 1. Liedkonzert der Staatsoper

11.
Okt.
2019

Die Staatsoper hatte zusammen mit der Hugo-Wolf-Akademie zum ersten Liedkonzert ins Foyer des Opernhauses geladen, und schon das Programm bot Anlass zur Freude: denn neben Liedern von Gustav Mahler und Richard Strauss stand auch Ralph Vaughan Williams´ Zyklus „Songs of Travel“ nach Gedichten von Louis Stevenson – dem Autor der „Schatzinsel“- auf dem Programm, eine Sammlung von neun Liedern, die zu den schönsten und bedeutendsten Liederzyklen überhaupt zählt, auf deutschen Bühne aber eher selten zu hören ist. Im Mittelpunkt darin steht, ähnlich wie bei Schubert, das urromantische Motiv des Wanderers einschließlich Naturmystik und Liebesleid, und fast unerschöpflich ist das Spektrum an musikalischen Mitteln und Stilen, mit dem Vaughan Williams jedes der Lieder in eine spezifische Stimmung und Atmosphäre getaucht hat. Eine Differenziertheit, der Rita Kaufmann am Klavier und der Bariton Johannes Kammler an diesem Abend vielleicht nicht in jedem Aspekt, aber doch insgesamt sehr eindrucksvoll gerecht wurden: Kammler, seit der letzten Spielzeit Ensemblemitglied der Staatsoper, ist ein Bariton von Format, mit voluminös-schwarzer Tiefe und einem edlenTimbre, das bis in hohe Lagen nichts von seiner Strahlkraft verliert. Ein exquisites Material, von dem er auch als Liedsänger zu profitieren weiß, zumal er auch in der englischen Diktion gestochen klar artikuliert, und – wie in der ersten Progammhälfte bei den Fünf Liedern op. 15 von Richard Strauss – auch klangfarblich zu punkten weiß.
Das Programm teilte sich Kammler an diesem, im Übrigen sehr gut besuchten Abend mit einer anderen großen Sängerhoffnung der Stuttgarter Oper: Diana Haller. Die Mezzosopranistin, die seit einigen Jahren zu den Publikumslieblingen in Stuttgart zählt, besticht auf der Opernbühne vor allem mit messerscharfen Koloraturen und vokaler Durchschlagskraft – Qualitäten, die beim Liedgesang eher von untergeordneter Bedeutung sind, von denen sie aber bei einer Auswahl aus Mahlers Wunderhornliedern durchaus profitierte, da auch Rita Kaufmann den Klavierpart eher orchestral ausgelegt hatte. Das war dann, gerade in der latenten Überakustik des Opernfoyers, manchmal fast etwas zuviel des Guten. Aber immerhin konnte Diana Haller dann in einer Auswahl von Strausslieder, darunter auch das berühmte „Die Nacht“ zeigen, dass sie durchaus auch farbenreich zu gestalten weiß. Aber das nächste Mal vielleicht doch lieber in einem akustisch besser geeigneten Ambiente.

Das Stuttgarter Kammerorchester unter Thomas Zehetmair

30.
Sep.
2019

Unter keinem guten Stern

Eigentlich ist György Ligetis „Ramifications“ für Streichorchester ein hochinteressantes Stück. Bedingt durch den Umstand, dass hier die Hälfte der Streicher einen Viertelton höher gestimmt als die andere, kann das gut achtminütige Werk eine Fülle an irisierenden Schwebungsphänomenen evozieren und in ein vielstimmiges, tranceartiges Flackern und Flimmern münden – geeignet, die Sinne nachhaltig zu verwirren und zu betören. Freilich kann das fragile Opus nur dann zu einer entsprechenden Wirkung kommen, wenn es von dem Raum, in dem es aufgeführt wird, akustisch getragen wird. Das nun war beim Konzert des Stuttgarter Kammerorchesters im Beethovensaal mitnichten der Fall. Für das Volumen eines Kammerorchesters grundsätzlich schon problematisch, verflüchtigte sich der Klang des sich überwiegend im Pianobereich bewegenden Stücks schon gegen Mitte des Saals, repetierende Huster gaben ihm dann den Rest.
Das war insofern schade, als sich die Streicher merklich Mühe gaben, Ligetis Spielanweisungen zu befolgen. Doch irgendwie stand dieser Abend, das zweite Konzert des SKO unter dem neuen Chefdirigenten Thomas Zehetmair, unter keinem guten Stern. Begonnen hatte er mit Jean-Féry Rebels Symphonie nouvelle „Les Eléments“, in der sich in zehn Sätzen die Elemente allmählich aus dem durch einen Klangcluster symbolisierten Chaos herausbilden. Musik, deren theatralischer Charakter eine offensive Spielweise erfordert, die aber hier in einer so dezent reservierten Haltung vorgetragen wurde, dass man meinen konnte, man befände sich in einer Probe.
Nach der Pause dann Mozarts „Haffner-Serenade“ samt einleitendem Marsch: Unterhaltungsmusik der gefälligen Art, deren ausgedehnte Faktur Mozart – dem Anlass eines Freiluftkonzerts entsprechend – nebst einigen ungewöhnlichen Einfällen mit reichlich Floskelhaftem gefüllt hat. Am Interessantesten noch das Andante, bei dem sich Zehetmair immerhin als guter Geiger präsentieren konnte. Was der neue Chef als Dirigent und Orchesterleiter drauf hat, muss die Zukunft zeigen. (STZN)

Frieder Bernius dirigierte Griegs Schauspielmusik zu Peer Gynt

28.
Jul.
2019

Schon sechs Jahre ist es her, dass Frieder Bernius das letzte Mal eine Open-Air-Aufführung vor dem Schloss Solitude geleitet hat, davor war dies im zweijährigen Rhythmus eigentlich schon zu einer schönen Tradition geworden. Umso schöner, dass es nun wieder geklappt hat – beide Konzerte mit Griegs Schauspielmusik zu Peer Gynt  waren ausverkauft – und die am Freitagabend gekommen waren, erlebten ein Spektakel, das sie wohl lange nicht vergessen dürften, verbanden sich an diesem Abend doch Kultur und Natur zu einem Gesamtkunstwerk der besonderen Art.
Schon vor Konzertbeginn schoben sich hinter dem Schloss die Wolken zu bedrohlich schwarzen Gebilden zusammen, und bald nachdem Bernius seinen Taktstock zum ersten Mal gehoben hatte, zuckten auch schon die ersten Blitze. Dazu hob ein laues Lüftchen an, derweil das Schloss mit wechselnden Bonbonfarben wie auf Kitschpostkarten beleuchtet wurde. Mit dem Vorspiel zum ersten Akt begann dann das Drama um den Titelhelden, den Bauernsohn Peer Gynt, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und sich in einer Mischung aus Größenwahn und Selbsttäuschung auf eine Art Fantasiereise aufmacht, aus der er am Ende desillusioniert wieder in die Arme der einzigen Frau zurückkehrt, die ihn aufrichtig liebt: Solveig.
Bernius dirigierte dabei eine Fassung, bei der die insgesamt 26 Sätze umfassende Schauspielmusik auf 16 reduziert wurde, dazu hatte Galin Stoev frei nach Ibsens Drama verbindende Zwischentexte verfasst. Die wurden von Walter Sittler gelesen, der auch hin und wieder schauspielernd in die ansonsten rein konzertante Szene eingriff, ebenso wie Sarah Wegener, die Bernius für die Solopartien ausgesucht hatte und die mit ihrem anmutig-reinen Sopran die Rolle der treuen Solveig ideal ausfüllte.
Nun ist die Peer Gynt-Musik vor allem durch die beiden Suiten bekannt geworden, die Grieg  zusammengestellt hat. Die erste beginnt mit der „Morgenstimmung“ – die allerdings steht im Drama erst zu Beginn des vierten Akts an. Nicht die einzige Verwirrung – denn manch einer dürfte auch dem Bierwerbespot auf den Leim gegangen sein, nach dem Griegs Hit einen Frühlingsmorgen in Norwegens Fjord- und Berglandschaft imaginiert. Weit gefehlt, hat es Peer Gynt doch im vierten Akt nach einigen Abenteuern mit kessen Hirtenmädchen und übellaunigen Trollen nach Marokko verschlagen, wo er mit Sklavenhandel und krummen Geschäften reich wird. Die „Morgenstimmung“ beschreibt also eher einen Sonnenaufgang über der Wüste, und so dirigierte Frieder Bernius das Stück auch: Nicht als entspannt-romantische Elegie, sondern in einer dezent aufgekratzten, leicht euphorischen Grundstimmung, die dem arabischen Flair der folgenden Sätze den Boden bereitete. Ohnehin legte Bernius Wert darauf, mit der Klassischen Philharmonie Stuttgart und dem Kammerchor Stuttgart vor allem das Theaterhafte dieser an Facetten überaus reichen Musik herauszuarbeiten.
Was dann nach einer kurzen Regenunterbrechung beim Vorspiel zum 5. Akt „Stürmischer Abend auf dem Meer“ passierte, hätte kein Regisseur besser inszenieren können. Der Wind war zu einer kühlen, steifen Brise geworden, das Firmament wurde von Blitzen erhellt, während die Orchesterpauke sich einen Wettstreit mit dem himmlischen Donner lieferte. Das ist Theater!

Das Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

21.
Jul.
2019

Essenz einer Ära

Ins Ungewisse – das könnte man, ohne pathetisch klingen zu wollen, auch über die Grundbedingung unseres Lebens sagen: Man weiß halt nie genau, was kommt. Dass das ausgerechnet in der Kunst und speziell im klassischen Konzertbetrieb anders sein soll, wo es vielen nur um das abrufbar Erbauliche geht, kam Thomas Wördehoff immer merkwürdig vor – und damit wären wir beim Abschlusskonzert der diesjährigen Ludwigsburger Schlossfestspiele, das zugleich auch das Finale der Ära Wördehoff war. Schon seit der Saison 2018 wurden bei einzelnen Ludwigsburger Konzerten unter dem Titel „…ins Ungewisse“ unangekündigt kurze zeitgenössische Werke eingeschleust, um die Berührungsängste vieler Hörer mit aktueller E-Musik zu unterlaufen. Beim Abschlusskonzert nun wurde das Unangekündigte konstitutiv: gleich drei gewichtige Beiträge wurden ins offizielle Programm eingeschoben. Deren Auswahl war Teil einer ausgefeilten Dramaturgie, die sich als Essenz dessen begreifen lässt, was Wördehoff in seiner Zeit als Intendant zu vermitteln suchte.
Für den, oft subversiven, Humor und das Ignorieren von Genregrenen stehen dabei Mnozil Brass, die den Abend mit einer Bearbeitung von Schostakowitschs 8. Streichquartett brillant eröffneten und das Publikum mit Strauss´ Fledermaus-Ouvertüre berauscht und in die erste der beiden Pausen – das Konzert dauerte bis halb Zwölf – schickten.
Der Wirbel von Ravels, vom Festspielorchester fulminant musizierter „La Valse“ brach die holländische Sängerin Nora Fischer dann auf intime, berührende Art. Wördehoff, das weiß man, liebt den Song – und die von Marnix Dorrestein auf der E-Gitarre sensibel begleiteten Liedadaptionen im Singer-Songwriterstil von Werken Purcells, Dowlands oder Caldaras waren dazu noch eine stilistische Transformation der reizvollsten Art.
Im dritten Teil dann gab Igor Levit, zusammen mit Mnozil Brass-Trompeter Thomas Gansch zuvor Solist bei Schostakowitschs Konzert für Trompete und Klavier, mit Frederic Rzewskis „Which Side are you On?“ ein glühendes Bekenntnis zur gesellschaftlichen Relevanz von Musik wie deren Ernsthaftigkeit im Allgemeinen. Kaum vorstellbar, dass Levit auch nur einen einzigen unaufrichtigen Ton spielen würde – eine Dringlichkeit, der sich auch das von Pietari Inkinen geleitete Festspielorchester mit Sibelius siebter Sinfonie anschloss. Mit Wördehoff wird auch Inkinen Ludwigsburg verlassen, und so kann man die zugegebene sibeliussche „Valse Triste“ durchaus wörtlich nehmen: ein bisschen traurig darf man da schon werden.