Beiträge der Kategorie ‘U-Musik’

Florian Boesch und die Musicbanda Franui bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

03.
Jul.
2017

Kostbare Stille

Es sind Momente, in denen die Zeit still zu stehen scheint. „Kehr ein bei mir/Und schließe du/Still hinter dir/Die Pforte zu“ singt der Bariton Florian Boesch in Schuberts Lied „Du bist die Ruh“, nach einem Text von Friedrich Rückert und wird dabei ganz zart von der Harfe begleitet. Später kommt, wie ein Hauch, noch ein Akkordeon dazu. Wenn Boesch dann in der letzten Zeile „O füll es ganz“ das Licht besingt, das die Geliebte dem eigenen Augenzelt verleiht, und dabei seine Stimme in die Höhe steigen lässt bis sie fast bricht, wagt man kaum noch zu atmen. Manch einem Hörer im Ludwigsburger Scala dürfte da, keine Schande, das ein oder andere Tränchen die Wange benetzt haben – wenn nicht hier, dann am Ende des Konzerts, nach Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, ebenfalls auf einen Text von Rückert, auf das lange Sekunden der Stille folgen, ehe der Applaus einsetzt.
Berührender kann Musik kaum sein als bei diesem Konzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele, was umso bemerkenswerter erscheint, als das Programm aus Kunstliedern bestand – einem Genre, das wegen mangelndem Publikumszuspruch des Öfteren totgesagt wurde. Landauf, landab klagen Veranstalter, dass kaum noch einer sich dafür interessiere, auch bei den Schlossfestspiele blieben in der Vergangenheit selbst bei renommierten Künstlern viele Plätze leer.
Vielleicht aber, das hat dieser Abend gezeigt, liegt es ja gar nicht an den Liedern von Schubert, Schumann oder Brahms, dass sich nur so wenige dafür erwärmen können. Sondern an der Art, wie sie vorgetragen werden. Zwei befrackte Herren betreten den Saal, der eine nimmt am Steinway Platz, der andere stellt sich mit ernster Haltung daneben und trägt mit sauberer Konsonantenbildung Ergötzliches vor – so ist das leider häufig. Florian Boesch dagegen, leger gekleidet in Jeans und Sweatshirt, sang zwar mit klassisch geschulter Stimme, doch auf eine ganz und gar unprätentiöse, natürliche Art, ungekünstelt in Körpersprache und Deklamation. Begleitet wurde er von dem zehnköpfigen Ensemble Franui. Die Osttiroler Musicbanda ist regelmäßig Gast in Ludwigsburg und gilt als führend, was die Dekonstruktion klassischer Musik unter volksmusikalischen Vorzeichen anbelangt, will sagen: sie holt die Musik von Schubert und Mahler mit Instrumenten wie Hackbrett, Geige und Akkordeon aus den Wirtshäusern und von den Tanzböden – im Falle Mahlers auch von den Friedhöfen: mit Trauermärschen hat die Karriere von Franui einst angefangen. Dabei sind ihre Arrangements keineswegs rustikal, sondern, wie ihre instrumentalen Fähigkeiten, höchst ausgefeilt, gleichwohl behält die Musik etwas sympathisch Geerdetes – der Ballast des klassischen Konzertrituals erscheint wie weggefegt. Um die Vergänglichkeit, einem bevorzugten Thema des romantischen Lieds, drehte sich das Programm, den Titel „Alles wieder gut“ konnte man in diesem Kontext allenfalls als Trost verstehen. Der schwedische Künstler Jonas Dahlberg ließ dazu, sehr atmosphärisch, als Sinnbild für das unvermeidliche Welken alles Irdischen ein in Zeitlupe verfallendes Schlafzimmer auf den Bühnenhintergrund projizieren. Ein stimmiger Abend, der in Erinnerung bleiben wird. (STN)

Martin Grubinger mit The Percussive Planet Ensemble in Stuttgart

19.
Jun.
2017

Perkussions-Overkill

Es hat oft mit charismatischen Musikern zu tun, wenn plötzlich Instrumente in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit rücken, die bis dahin eher ein Schattendasein geführt hatten. James Galway gelang dies einst mit der Flöte, Sabine Meyer mit der Klarinette, und auch der aktuelle Boom des Schlagzeugs hat einen Namen: Martin Grubinger. Der Salzburger füllt weltweit die größten Säle und erreicht dabei sowohl das typische Abokonzertpublikum als auch Menschen, die sich weniger für klassische Musik interessieren. Das dürfte daran liegen, dass Grubinger neben zeitgenössischen Kompositionen auch niederschwellige Crossoverangebote im Programm hat. Wie bei seinem aktuellen Projekt „The Percussive Planet Ensemble“, mit dem er am frühen Sonntagabend im fast ausverkauften Beethovensaal aufgetreten ist. Der Titel deutet schon an, dass es hier um Weltmusik geht: Der Abend solle einen Überblick über das geben, was in den letzten 100 Jahren im Bereich Perkussion auf der Welt passiert ist, sagte Martin Grubingers gleichnamiger Vater, der auch die die Arrangements schrieb und erklärte, es gehe im Programm unter anderem um aztekische Götter, den Clash der Religionen und aufeinander zurasende Züge. Und wünschte viel Spaß auf der „Achterbahn der Emotionen“. Dass diese über weite Strecken des Abends eher ein, wenn auch geräuschvoller, Bummelzug war, lag vor allem am Fehlen einer schlüssigen Dramaturgie, die dem gut 130-minütigen Abend (ohne Pause!) so etwas wie Struktur hätte geben können. Das Gerüst, an dem sich das Programm entlanghangelte bildeten nämlich Jazzstandards wie „Watermelon Man“, „Peter Gunn Theme“ oder, wenn wir es richtig gehört haben, „Afro-Blue“ und „Trains“, die von der achtköpfigen Jazzband durchaus versiert gespielt wurden, aber durch die Ergänzung des Drummers um weitere sechs Perkussionisten nicht unbedingt an Qualität gewannen. Die Schlagzeuger waren über die ganze, von Schlaginstrumenten aller Art restlos voll gestellten Bühne verteilt, ein Dauergeklöppel, mitunter nahe am Perkussions-Overkill, und auch nicht immer wirklich im Groove, dem mit Händen und Füßen in der Mitte dirigierenden Grubinger senior zum Trotz. Auch das Ethnische blieb hier überwiegend Dekor, wirklich spannend wurde es, wenn die Schlagzeuger, allesamt Meister ihres Fachs, in kleineren Besetzungen spielten. Sehr eindrucksvoll Rhani Krija, der auf den marokkanischen Trommeln mit polyrhythmischen Raffinessen verblüffte, und auch Martin Grubinger zeigte mit einer atemberaubenden Accelerande-Etüde auf der kleinen Trommel, dass er nicht umsonst einen Ruf als Wunderdrummer besitzt. Am Ende Ovationen im Stehen des begeisterten Publikums.

Till Brönner spielte mit seiner Band beim Internationalen Jazzfestival im Theaterhaus

19.
Apr.
2017

Cool und relaxed

Klar, dass der Neider hat. Till Brönner spielt so brillant Trompete wie derzeit kaum ein anderer, sieht dazu ziemlich gut aus und verkauft auch noch eine Menge Tonträger, was alles so gar nicht dem landläufigen Klischee des ranzigen armen Jazzers entspricht, der seine letzten Kröten zusammenkratzt um irgendwann eine eigene Platte zu machen. Brönners neue CD schaffte es gar, sensationell für ein Jazzalbum, auf Platz 6 der GfK-Album Charts – „The Good Life“ heißt sie, was durchaus passend erscheint für den smarten 45-Jährigen, dem gar die Ehre zuteil wurde, als einziger Deutscher zu Obamas Jazz-Gipfel ins Weiße Haus eingeladen zu werden. Brönner, der am Dienstagabend im ausverkauften T1 des Theaterhauses das Abschlusskonzert bei den Internationalen Jazztagen bestritt, ist gelungen, was ansonsten nur wenigen Jazzgrößen wie etwa Diana Krall geschafft haben: den Jazz mehrheitsfähig zu machen, ohne dabei seine Seele zu verkaufen. Sein Erfolgsrezept besteht dabei unter anderem darin, niederschwellige Angebote auch für jene Hörer zu machen, die von John Coltrane oder Charles Mingus nie etwas gehört haben, wobei Filmmusik und Pophits ebenso zu seinem Fundus zählen wie Fusionnummern oder dezent Elektrifiziertes. Doch auch wenn er den Jazz nicht neu erfindet, sich seiner Traditionen und Stile mehr bedient, als sie weiter zu entwickeln – was er macht, ist musikalisch von erlesener Qualität. Das Konzert beginnt mit einem Titel von Dave Grusin, Filmmusik aus die „Die 3 Tage des Condor“ im typischen Synthiesound der Siebziger, sehr cool, sehr relaxed – was durchaus für den gesamten Abend gilt. Denn auch wenn sich Brönner und sein fabelhafter Saxofonist Markus Lindgren an diesem Abend ab und an mal zu gegenseitigen solistischen Höhenflügen anspornen, so ist der Habitus der Band insgesamt insgesamt auf professionelle Zurückhaltung angelegt. Sorgen, es könnten Schweißflecken an Brönners Sakko zurückbleiben, sind so unbegründet, auch beim zweiten Stück, Wes Montgomerys „Bumpin´“, wo Brönner zu einem jener Soli ansetzt, die angesichts der Schwierigkeiten der Trompetentechnik immer wieder aufs Neue verbüffen. Mit einer geläufigen Leichtigkeit, die man ansonsten allenfalls von Pianisten oder Gitarristen kennt, surft da Brönner durch die Skalen und jongliert aberwitzig mit Arpeggien, und doch vermittelt sich bei aller spieltechnischen Brillanz niemals der Eindruck bloß technischer Geläufigkeit.
Etwa in der Mitte der ersten Hälfte greift Brönner dann zum Mikro. Plaudert ein wenig über Stuttgart und das Wetter und stellt seine Band vor, „ein Konglomerat meiner ziemlich besten Freunde“. Dazu teilt er kleine Seitenhiebe aus gegen die miesen Musicals von heute und lobt die guten von früher, namentlich jene von Cole Porter, und da mag man ihm kaum widersprechen. Auch nicht, wenn er von seiner Liebe zu Balladen schwärmt und dann eine hinreißende Version von Michel Legrands „Once Upon a Summertime“ mit einem butterweichen Flügelhornsolo folgen lässt. Ab hier nimmt der Abend Fahrt auf, gewinnt auch atmosphärisch an Dichte. Brönner macht einen kleinen Abstecher nach Brasilien mit Luisito Quinteros „Aquisas Coisas Todas“, wo er an die gute alte Tradition der singenden Trompeter anknüpft, dabei stimmlich allerdings eher an das schüttere Organ Chet Bakers denn an Louis Armstrong denken lässt. Angesichts der Perfektion seines Trompetenspiels wirkt Brönners Gesang in seiner Unbeholfenheit aber schon fast wieder charmant.
So geht der Abend lässig dahin. Schmusiges wechselt sich ab mit Groovigem, bei einem Potpourri aus Brönners CD „Blue Eyed Soul“ dürfen seine durchweg hochkarätigen Bandmitglieder, speziell der Pianist Jasper Soffers und der Gitarrist Bruno Müller, zeigen, was sie drauf haben. Mit „Wir spielen noch was Flottes“ kündigt Brönner dann die erste und einzige Zugabe an: „Happy“, Pharell Williams´ Sommerhit von 2013, und wer bis dahin noch keine gute Laune hat, bekommt sie spätestens jetzt.

Sophie Hunger spielte mit ihrer Band im Ludwigsburger Scala

15.
Sep.
2016

Sie bringt den Mond zum Sprechen

Diese Frau ist ein Mirakel. „Wir waren hier“, sagt Sophie Hunger zu Beginn Ihres Konzerts im Ludwigsburger Scala, „als noch keiner uns wollte. Und darum ist es wichtig, dass wir jetzt sehr gut spielen“, und sie trägt das mit jener irritierenden Mischung aus Naivität und Ironie vor, die schon abgebrühte Showprofis wie Harald Schmidt fast aus der Fassung brachte. Aber abgesehen davon, dass sie schon 2009, bei ihrem ersten Scala-Auftritt, viele gewollt haben – immerhin hatte sie bereits 2007 ihren ersten Auftritt beim Jazzfestival von Montreux – wahr ist, dass Sophie Hunger mittlerweile eine bemerkenswerte Karriere gemacht und im letzten Jahr mit „Supermoon“ ein Album vorgelegt hat, das den Vergleich mit großen Singer/Songwriterinnen nicht zu scheuen braucht. Das liegt auch an den Texten, die von ungewöhnlicher lyrischer Qualität sind – etwa in „Supermoon“, dem Titeltrack, den sie zu Beginn ihres Konzerts singt, sich dazu selbst auf der Gitarre begleitend. Hier bringt sie den Mond zum Sprechen. „I was cut out of your stone/I am empty but I am never alone“, heißt es da, „Sometimes I´m cold, sometimes I burn“. Die meisten Stücke an diesem Abend sind von „Supermoon“, dazu kommen ältere Lieder wie „Spiegelbild“ oder „Das Neue“. Sophie Hunger singt auf Englisch, Französisch, Deutsch und Schwyzerdütsch, immer mit dieser reinen Stimme, in der sich Melancholie mit Hingabe, Selbstbewusstsein mit Verletzlichkeit paart. So vielschichtig wie die Persönlichkeit der Diplomatentochter, die u.a. in Zürich, London und Paris lebte, ist ihre Musik. Die bringt verschiedenste Einflüsse zusammen – Pop, Folk, Jazz, Punk, Chanson – besitzt aber einen distinkten Sound, der in seiner fragilen Aufgekratztheit etwas an den der kanadischen Sängerin Leslie Feist erinnert, mit der sie die Eigenschaft teilt, dass man sie auf verschiedenen Ebenen hören kann. Denn hinter der Popfassade mancher Songs verstecken sich harmonische und instrumentatorische Finessen, die man vielleicht erst beim zweiten oder dritten Hörern erfasst – eine Art experimenteller Subtext, der diese Musik auch für Mainstreamverächter interessant macht. Klar, dass man dafür exzellente Musiker braucht, gleichwohl erstaunt die Nonchalance, mit der allen voran der Keyboarder Alexis Anerilles und der Gitarrist Geoffrey Burton Elemente aus Pop und Jazz einflechten: Art-Rock à la King Crimson oder Rockjazz im Stil von Herbie Hancock klingt da mal eben so an. Das ist alles so kurzweilig wie grandios, und nach achtzig prall gefüllten Minuten ist erst mal Schluss im gut gefüllten Scala. Doch Sophie Hunger schiebt noch drei Zugabenblöcke nach – nicht ohne vorher zu betonen, wie eintönig ihr Leben als Sängerin doch sei: Lieder schreiben, produzieren, auf Tour gehen, immer dasselbe. Wer glaubt`s? (STZN)

Die Jazz Open Stuttgart 2016

17.
Jul.
2016

Weniger Jazz war wohl noch nie bei den Stuttgarter Jazz Open als in diesem Jahr – zumindest was die open air-Hauptbühne vor dem Neuen Schloss anbelangt. Standen dort im Vorjahr mit Gregory Porter und Dianne Reeves noch ausgewiesene Jazzinterpreten, so waren diesmal ausschließlich Vertreter der Pop-und Rockszene zu Gast. Ohne Publikumsmagneten lassen sich solche Festivals kaum mehr finanzieren, denn die Erfahrungen der letzten Jahre haben eines gezeigt: auch in seinen domestizierten Erscheinungsformen ist Jazz nach wie vor keine Musik für die Massen.
Trotzdem darf man die Jazz Open Stuttgart immer noch mit Fug und Recht als Jazzfestival bezeichnen, gab es doch auf kleineren Bühnen ein breites Spektrum an „echten“ Jazzkonzerten. Chick Corea spielte mit seinem Quintett gar im Beethovensaal der Liederhalle vor 2100 Hörern, ein Abend, den man freilich mit gemischten Gefühlen verfolgte. Corea hatte hier ein Ensemble von Spitzenkönnern der amerikanischen Jazzszene versammelt, deren technischer Brillanz zum Trotz alles mehr oder weniger gleich klang. Thema, Soli, Thema, das Ganze befeuert von einem enervierenden Dauergroove. Enttäuschend.
Im Gegensatz dazu zeigte das grandiose Konzert von Coreas ehemaligem Bassisten Avishai Cohen im Sparda Eventcenter, welches Niveau die Formation Jazz-Klaviertrio heute erreicht hat. Hier erlebte man Improvisation im Kollektiv, fesselnd und inspiriert, ein Konzert, das auch von der Nähe zu den Musikern lebte. Noch dichter dran ist man im Jazzclub BIX, der für viele seit Jahren das eigentliche Zentrum der Jazz Open darstellt. Auch hier gab es Jazz auf Weltklasseniveau, der sich auch gern mal jenseits des Mainstreams bewegte. Wie das Quartett der französischen Sängerin Cyrille Aimée, das sehr animierend traditionellen Jazz mit Gipsy-Elementen verbindet und diesen mit zu Herzen gehender Spielfreude präsentierte.
Dagegen wirkte selbst der Auftritt des Altstars Van Morrison reichlich saturiert, selbst wenn sich der 70-Jährige stimmlich nach wie vor in sehr guter Verfassung befindet und mit seinen ebenfalls recht betagten Bandkollegen einen so relaxtes wie inspiriertes Konzert hinlegte. Dazu stimmte der Sound, im Gegensatz zum Konzert von Santana: hier nervte lange der breiige und übersteuerte Klang, den die Techniker erst allmählich in den Griff bekamen. Lange war Konzert deshalb kein Vergnügen, obwohl die Band reichlich Druck machte und Meister Carlos seine Gitarre singen ließ wie eh und je. Doch spätestens bei „Black Magic Woman“ und „Oye como va“ tanzten auch die letzten Zuhörer im ausverkauften Schlosshof. Und alles war gut.

(Mannheimer Morgen)

Das Markus Geiselhart Orchestra in Ludwigsburg

27.
Jun.
2016

Bigbandmusik auf der Höhe der Zeit

Dass es im Nachkriegsdeutschland Bigbands wie die von Max Greger oder Hugo Strasser waren, die sozusagen die musikalische Grundversorgung übernommen hatten – wobei die Grenzen zwischen Tanzmusik und Jazz fließend waren – dürfte einiges zum konservativen Image der Bigband beigetragen haben. Waren ihre Vorbilder, also Count Basie, Duke Ellington oder Glenn Miller stilistisch noch auf der Höhe ihrer Zeit, so blieben deren Nachfolger auch dann noch größtenteils dem gepflegten Swing verhaftet, als sich der Jazz schon längst dramatisch weiterentwickelt hatte. Das Konzert in der Reithalle der Karlskaserne mit dem Markus Geiselhart Orchestra war nun ein Beweis dafür, dass sich mit einer klassischen Bigbandbesetzung höchst zeitgenössische Musik machen lässt, ohne dabei die Tradition gänzlich zu verleugnen.
Schon im vorigen Jahr gastierte der in Fellbach geborene Posaunist und Bandleader Geiselhart im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele mit dem Don Ellis Tribute Orchestra, damals mit dem Wiener Trompeter Thomas Gansch. Auch die Mitglieder seines Orchesters hat sich Geiselhart aus der Wiener Jazzszene herausgepickt und konnte – der Festspieletat macht´s möglich – als special guest noch die amerikanische Posaunenlegende Ray Anderson verpflichten.
Die Stücke des Abends stammten bis auf zwei von Geiselhart selbst, der mit seinem Vorbild Don Ellis die Vorliebe für komplexe Rhythmen teilt. Geiselhart verarbeitet dabei verschiedene Einflüsse zu einer sehr eigenständigen Musik, beispielhaft zu hören im ersten Stück des Abends, „My instrument is the orchestra“. Schneidende Fanfaren gemahnen an Gladiatorfilme, quasi-orchestrale Arrangements an modernen Bigbandstil à la Maria Schneider, dazwischen gibt es die Möglichkeit zur Improvisation. Bemerkenswert ist, dass Geiselharts Stücke bei aller Komplexität – permanente Taktwechsel! – niemals akademisch klingen, sondern immer einen gewissen Groove bewahren: Musik, die Kopf und Herz gleichermaßen anspricht und schlicht Laune macht.
Solistisch stand an diesem Abend natürlich Ray Anderson im Mittelpunkt. Der New Yorker ist ein ebenso begnadeter Posaunenvirtuose wie verspielter Kindskopf, dessen permanente Aufgekratztheit auch nerven könnte, aber zum Glück durch einige mitreißende Soli von Geiselharts Bandkollegen im Zaum gehalten wurde: vor allem der Gitarrist Martin Koller konnte sich dabei als herausragend innovativer Vertreter seiner Spezies profilieren. Geiselhart moderierte so unterhaltsam wie hemdsärmelig sympathisch, und so ging der Abend in der voll besetzen Reithalle wie im Fluge vorüber. Einziger Wermutstropfen blieb der zu laute und harte Sound der Verstärkung: Die konnte den farbenreichen Klang der Band nur andeutungsweise abbilden. Schade. (STZN)

Das neue Programm der Fünf „5 Engel für Charlie“

08.
Mai.
2016

Bratensoß´ auf den Lachs

Weiße Klamotten und ein bisschen Bling-Bling, fertig sind die Himmelsboten: „5 Engel für Charlie“ lautet der Titel des neuen Programms der A cappella-Gruppe Die Fünf, das am Samstagabend im rappelvollen T1 des Theaterhauses Premiere hatte. Nun kann man sich natürlich fragen, was das Engeloutfit mit der Krimiserie „3 Engel für Charlie“ aus den 70ern zu tun hat, in der drei scharfe Detektivinnen im Auftrag eines mysteriösen Chefs – der seine Mädels Engel nannte – abstruse Fälle lösten und was der Showtitel überhaupt soll. Aber es zählt ja gerade zu den bewährten Methoden der Fünf, aus der Umwandlung bekannter Muster absurd-komische Funken zu schlagen, ohne damit gleich sinnstiftend sein zu müssen. Da kann es schon genügen, das Wort „Love“ durch „Horst“ zu ersetzen und sich damit durch das einschlägige SWR1-Repertoire zu trällern. „Horst hurts“, „Stop in the name of Horst“ oder „I would do anything but Horst“, und das Publikum kriegt sich nicht mehr ein. Medleys wie dieses zählen zu den zuverlässig bejubelten Dauerbrennern im Repertoire der Fünf. Auch in ihrem neuen Programm hört man, dramaturgisch klug platziert, Klassiker wie „Mir im Süden“ oder das „Schuhsohlenleder“-Medley – das freilich mit einigen neuen Rezeptvorschlägen upgedatet wurde: Bratensoß´ auf den Lachs heißt es darin jetzt frei nach Helene Fischer.
Seit über 20 Jahren stellt das Ensemble etwa alle zwei Jahre ein neues Programm auf die Beine, überwiegend mit selbst komponierten Stücken. Das ist ihnen auch mit „5 Engel für Charlie“ wieder gut gelungen. Es gibt Lieder über Küchengeräte („Thermomix“) und Hautkrankheiten („Neurodermitis“), Parodien auf Cowboysongs und Boygroupschmonzetten. Nicht alle zünden gleichermaßen, aber manche haben das Zeug zum Hit. Das Plädoyer für Gebrauchsmusik mit dem rassig hingelegten „Tatort“- Jingle zählt dazu, aber auch die Neuinterpretation von Little Drummer Boy, die indische Musik mit indischer Küche auf brüllend komische Manier verquirlt. Und auch wenn sie in „Pipikakapopo“ mal ein klein bisschen über die Stränge schlagen (der Verzicht auf Zoten ist ein Grund dafür, dass die Fünf absolut familienkompatibel sind): unschuldiger und sympathischer kann man sexuelle Anspielungen, die auf Missinterpretationen bzw. – übersetzungen beruhen, nicht präsentieren: „Europäische Wasserscheide“, „Besame mucho“… Nein, weiter wollen wir da jetzt nicht ins Detail gehen.
Gelegentlich kann der Humor der Fünf auch sozialkritisch sein: mit „Wir wollen nur deutsche Mieter“ ist Ihnen das bei ihrem letzten Programm „Bock drauf“ prima gelungen. Das neue Lied über die sogenannten Wutbürger freilich, in dem sie Lügenpresse, Montagsdemo und Pegida zusammenwürfeln, ist weder lustig noch wird klar, was sie damit eigentlich sagen wollen. Und wenn wir schon beim Meckern sind: ob die Fünf von ihrem Sponsor, einem Bettenhersteller, derart abhängig sind, dass sie für ihn in ihrer Show werben und auch noch extra einen Song („Komm ins Bett“) komponieren müssen? Eine Vermischung von Kunst und Kommerz, mit der sie zu verlieren drohen, was einen Großteil ihrer Beliebtheit ausmacht: Authentizität und Glaubwürdigkeit. Und das wäre schade. (StZ)

Max Raabe und das Palast-Orchester im Beethovensaal

29.
Jan.
2016

Formvollendet

Max-Raabe5So spricht heute eigentlich keiner mehr. „Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns die Möglichkeit einräumen würden, Ihnen noch ein Stück vortragen zu dürfen“, sagt Max Raabe am Ende des Programms, als das restlos begeisterte Publikum im voll besetzten Beethovensaal eine weitere Zugabe fordert. Die gestelzte Höflichkeit freilich ist ein Teil des Gesamtkunstwerks Max Raabe, der das Publikum mit seinem Programm „Eine Nacht in Berlin“ wieder einmal in jene Zeit der 20er und 30er Jahre entführte, die für die Unterhaltungsmusik mit Komponisten wie Ralph Benatzky, Fritz Rotter oder Friedrich Hollaender bis zur Machtergreifung der Nazis eine goldene war. Die anderen Teile sind Stil, Weltläufigkeit und Formvollendung: egal ob im Smoking oder Frack, kerzengerade am Mikrofon stehend oder lässig am Flügel gelehnt – bei Max Raabe ist alles perfekt gentlemanlike, vom Lackschuh bis zum Seitenscheitel. Das wirkt natürlich hoffnungslos anachronistisch in einer Zeit, in der Proleten wie Mario Barth mit derben Zoten Stadien füllen. Doch ist diese Wahrung der Form die Voraussetzung dafür, dass die wohldosierten Pikanterien und feinen Frivolitäten der Lieder, Couplets und Chansons die rechte Wirkung entfalten können. „Ich steh mit Ruth gut, weil meine Ruth tut, das was mir gut tut“, singt Max Raabe, und allenfalls ein leichtes Zucken der Augenbrauen deutet an, welche weiblichen Qualitäten damit wohl gemeint sein könnten. Und auch wenn die Fabulierlust Kapriolen schlägt – wie in dem Schlager „In der Bar zum Krokodil“ , wo sich „Ramses“ auf „ham ´ses“ und „Philosophen“ auf „Schwofen“ reimt und das Publikum vor Vergnügen quietscht, genügt Max Raabe ein vielsagendes Neigen des Kopfs. Einige neuere Lieder wie „Küssen kann man nicht alleine“ oder „Für Frauen ist das kein Problem“ fügen sich reibungslos in ein Programm, das auch musikalisch einiges zu bieten hat. Die zwölf Musiker des Palast-Orchesters zeigen echte Revue-Qualitäten in den überaus originellen Arrangements, bei denen auch exotische Instrumente wie Basssaxofon oder Sopranposaune zum Einsatz kommen. Darüberhinaus warten sie mit erstaunlichen Mehrfachbegabungen auf: da formieren sich die Bläser mal eben zum Streichquartett oder singen mit Max Raabe mehrstimmig, der seine Gesangstechnik weiter perfektioniert hat. Reibungslos gleitet die Stimme von Bariton- bis in höchste Falsettlagen, dabei lässt er die Rs rollen und zerkaut genüsslich die Vokale. Selbst Operettenschmonzetten wie „Dein ist mein ganzes Herz“ werden so wieder genießbar. Als letzte Zugabe gibt es ein kleines Gutenachtlied: “Am Südpol sitzt ein Pinguin und schaut/ob sein Gletscher taut…Doch du mein Schatz muss schlafen gehen“. Dazu blinken am Bühnenhimmel die Sternchen. (StZ)

Das Abschiedsprogramm von Honey Pie

10.
Jan.
2016

Walter will Wellness

Dreißig Jahre gibt es – mit einer neunjährigen Unterbrechung – nun schon das famose Damenterzett Honey Pie, das in dieser Zeit mit beträchtlichem Erfolg die Konzertsäle und Kleinkunstbühnen, Clubs und Mehrzweckhallen im Mittleren Neckarraum und darüber hinaus bespielt, beziehungsweise besungen hat. Da kommt schon allerhand zusammen an Programm, und so konnten die drei Ladies nun für ihr finales Best-of-Programm richtig aus dem Vollen schöpfen. „Bye bye Honey Pie – Das Beste zum Schluss“ lautet der Titel ihres Abschiedsprogramms, bei dessen Premiere im voll besetzten Renitenztheater Annette Heiter, Susanne Schempp und Dorothee Götz das Publikum auf eine Zeitreise durch drei Jahrzehnte Honey-Pie-Historie mitgenommen haben. Zu ihrer Gründungszeit 1985 (damals noch mit Anke Sieloff als Sopranistin) waren heimische Jazzsängerinnen rar gesät – mit Jazztiteln und klassischen Broadwaynummern wie „Sunny Side of the Street“ oder „Somewhere over the rainbow“ stießen sie damals in eine Marktlücke, die mittlerweile freiich längst geschlossen ist. Wenn Honey Pie heute solche Titel singt, wirkt das reichlich brav, ja, in Verbindung mit ihrer minimalistischen Bein-nach-rechts-Bein-nach-links-Choreografie sogar angestaubt. Allein damit hätten sie damals wohl nicht lange durchgehalten, doch die drei Damen haben eben mehr drauf: Witz und Bühnenpräsenz, dazu kommt das Talent zum Komponieren – und so war es ein kleiner, aber logischer Schritt zu dem, was man Musikkabarett nennt. In Nummern wie „Walter will Wellness“, „Spülen“ oder „Wir waren zehn an der Zahl“ kleideten sie Zeitgeistiges und allerlei Alltagskram in Form humoristischer Vokalarrangements und lagen damit voll im Trend. Zum Glück zählt auch Selbstironie zu ihren Qualitäten. Die beweisen sie nicht nur in den launigen Moderationen, sondern auch in Songs wie der Hymne aller (falschen) Blondinen, einer Eloge auf das Bleichmittel Wasserstoffperoxid. So geht es Schlag auf Schlag, der Pianist Bernhard Birk ist ihnen eine mehr als solide pianistische Stütze, und in den Zugaben zeigen die drei nochmal, was sie sängerisch draufhaben: „Operator“, in dem Dorothee Götz mal richtig aufdreht, haben auch Manhattan Transfer nicht fetziger hingelegt. Eigentlich schade, dass es damit nun aus sein soll – wobei: das kann schon noch ein bisschen dauern. 2016 soll das Abschiedsprogramm auf jeden Fall noch gespielt werden. Danach, so heißt es, werde man sehen.  (StZ)

Fredda sang zur Eröffnung der Französischen Wochen

16.
Okt.
2015

Was fällt einem Deutschen ein, wenn er an französische Chansons denkt? Vermutlich die Atmosphäre von Montmartre in Paris, dazu komplizierte, dunkel gekleidete Frauen und Männer, die melancholische, akkordeonbegleitete Lieder singen. Gern im Dreivierteltakt.
Klischees, natürlich, die aber jene Sehnsucht zum Ausdruck bringen, die sich hierzulande auf das Paris der Nachkriegsjahrzehnte bezieht: nach Schönheit, Stil, Erotik, kurz – nach jener bohèmehaften Durchdringung von Kunst und Leben, die das Wirtschaftswunderland Deutschland niemals bieten konnte. In Sänger(inne)n wie Edith Piaf, Juliette Gréco oder Georges Moustaki hat sie ihren Ausdruck gefunden.
Wer als Chansonnier in Deutschland bekannt werden wollte, tat (und tut) also gut daran, diese Klischees in irgendeiner Weise zu bedienen, selbst wenn seine Musik nicht mehr dem klassischen Chansonstil entspricht. Das war bei Patricia Kaas so, die trotz ihrer am Pop-Mainstream orientierten Musik gern mal die Cabaret-Schublade zog. Und auch Frankreichs derzeit angesagtester Musikexport Zaz hat eine Platte mit klassischen Chansons wie „Sous le ciel de Paris“ aufgenommen.
Der Sängerin Fredda, die am Donnerstagabend die noch bis zum 30. Oktober dauernden Französischen Wochen eröffnete, würde Ähnliches wohl nicht in den Sinn kommen. Ihre Musik ähnelt zwar durchaus in einigen Aspekten der Chansontradition, ist aber merklich von anglo-amerikanischer Folk- und Popmusik beeinflusst. So tauscht sie auch mal die Akustikgitarre mit dem Banjo, und wäre da nicht der französische Text, so könnten manche ihrer Lieder auch als Folksongs durchgehen. Nun dürfte mancher, der Freddas Alben kennt, gleichwohl einen etwas anderen Auftritt erwartet haben als den, den sie bei ihrem Konzert im gut besuchten T2 des Theaterhauses bot. Freddas Lieder sind harmonisch meist simpel gestrickt, was aber kein Nachteil sein muss – wurden die aparten Melodien ihres neuen Albums „Le chant des Murmures“ wie auch seines Vorgängers „L´ancolie“ doch von einem kompetenten Produzenten geschmackvoll in Szene gesetzt. Der von Akustikgitarren dominierte Grundklang wird auf den CDs auch mal von einem Kontrabass grundiert, dazu bereichern Streicher und Orgel das Klangbild ebenso wie der dezente Einsatz von Perkussionsinstrumenten.
Freddas Band im Theaterhaus bestand dagegen aus einem stoischen, im Tanzkapellenstil agierenden E-Bassisten, einem vorlauten Drummer und einem immerhin versierten E-Gitarristen, der sich aber mit seinen Soli ziemlich aufdringlich in den Vordergrund spielte. Insgesamt ein harter, dazu überlaut ausgesteuerter Grundsound, der wenig zu tun hatte mit den feinen Arrangements ihrer Alben. Und auch wenn man keine stilisierten Auftritte im Gréco-Stil erwartet hat: an ihrer Bühnenperformance kann die immerhin schon 45-jährige Fredda noch arbeiten: manches erinnerte da an den Auftritt einer Schülerband, die eben aus dem Übungskeller gekommen ist. Dazu passt auch die verstimmte Gitarre bei „L´ancolie“ und der gruselige Backgroundgesang des Schlagzeugers. Und dass sie ihren Text bei der Zugabe vom Zettel liest: auch das wäre einer großen Chansonette wohl nicht passiert. (StZ)