Beiträge der Kategorie ‘Tonträger’

Frank Peter Zimmermann hat Schostakowitschs Violinkonzerte eingespielt

22.
Dez.
2016

Zwischen Leidenston und Sarkasmus

Schostakowitschs zwei Violinkonzerte tauchen eher selten auf Konzertprogrammen auf. Zu bitter, leidgetränkt, insgesamt schwer verdaulich erscheint vielen diese Musik, gerade im Vergleich zu Repertoirekrachern wie den Konzerten von Tschaikowsky oder Sibelius. Andererseits kann das Hören ein nachhaltig aufwühlendes Erlebnis sein, vorausgesetzt sie wird von einem Interpreten wie Frank Peter Zimmermann gespielt. 2012 und 2015 hat er beide Konzerte Schostakowitschs zusammen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester (wie das NDR Sinfonieorchester neuerdings heißt) eingespielt, die nun erschienene CD zeigt den 51-Jährigen auf der Höhe seines Könnens. Die Zerrissenheit von Schostakowitschs Musik, ihr Schwanken zwischen Leidenston und Sarkasmus, Depression und Witz stellt Zimmermann plastisch, aber ohne jede Übertreibung dar und findet für jede Ausdrucksfacette den passenden Ton, geigerisch meistert er die enormen Schwierigkeiten bravourös. Das diszipliniert spielende Orchester unter Alan Gilberts Leitung unterstützt ihn dabei vorbildlich.

Frank Peter Zimmermann. Shostakovitch. Violin Concertos 1&2. NDR Elbphilharmonie Orchester, Alan Gilbert. BIS 2247.

Martin Stadtfeld spielt Chopin Etüden

11.
Dez.
2016

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Eine dezent historische Aura liegt über dieser Einspielung, was vor allem an dem Flügel der Bayreuther Firma Steingraeber liegt, der nicht nur im Diskant deutlich weicher als die üblichen Steinways oder Faziolis klingt. Damit ist der Klang nicht nur näher an dem Klang der Pleyel-Flügel, die Chopin selbst bevorzugt gespielt hat, sondern kommt auch Martin Stadtfeld entgegen, der eine Vorliebe für jene verhangenen Pastelltöne hat, die ihm dieses Instrument in vielerlei Abstufungen ermöglicht. Stadtfeld, der auf dem Cover gern etwas versonnen dreinblickt, hat sich in den Etüden auf die Suche nach verborgenen Lyrismen gemacht-  und tatsächlich in manchen davon interessante melancholische Wendungen aufgedeckt. Technisch sind Stadtfelds Möglichkeiten gleichwohl begrenzt: virtuosen Stücken wie op.25 Nr. 12 bleibt er einiges an Brillanz und konturiertem Zugriff schuldig, und auch seine „Improvisationen“ genannten Überleitungen zwischen den Etüden hätte er besser weggelassen: die klingen oft mehr nach Tonsatzübung als dass sie das Hörvergnügen steigern könnten.

Martin Stadtfeld: Chopin +. Sony Classical 88985369352

Emil Gilels The Seattle Recital

10.
Okt.
2016

Russischer Wunderpianist

the-seattle-recitalAm 16. Oktober wäre er 100 Jahre geworden: Emil Gilels, der zusammen mit Sviatoslav Richter als der bedeutendste russische Pianist der Nachkriegszeit gilt. Nach Stalins Tod war Gilels 1955 der erste sowjetische Künstler, der auf eine Amerikatournee geschickt wurde, bis 1983 reiste er insgesamt zwölfmal durch die USA. „Ich habe“, so Gilels, „den USA nicht nur mein Herz, sondern auch einen Großteil meiner Lebenszeit geschenkt“. Nun gab es auch im Westen gute Pianisten, doch Gilels ungeheure technische Souveränität, gepaart mit Kraft und Empfindsamkeit, muss damals überwältigend gewirkt haben. Dass er ein Live-Künstler war, der im Konzert über sich hinauswachsen konnte, lässt sich inzwischen anhand des Mitschnitts eines Recitals nachvollziehen, das Gilels 1964 in Seattle gegeben hat. Er beginnt mit Beethovens Waldsteinsonate, einem seiner Paradestücke, feurig, zupackend aber sehr beherrscht, gefolgt von Chopins Variationen über „Là ci darem la mano“ – reines Virtuosenfutter, das Gilels mit spürbarer Lust am Risiko spielt. Danach ist das Publikum euphorisiert, erst recht nach Prokofjevs fulminant hingelegter 3. Sonate. Gilels, das spürt man, will seinem Ruf als Wunderpianist gerecht werden, gleichwohl kommen uns heute manche Interpretationen vielleicht etwas merkwürdig vor. „Reflets dans l´eau“ aus Debussys „Images I“ erscheint in seiner vordergründig rauschenden Motorik eher auf Bravour denn auf Atmosphäre angelegt. Gilels klangliche Fähigkeiten lassen sich ohnehin besser auf anderen Aufnahmen beurteilen: die Tonqualität dieses (Mono-)Mitschnitts ist insgesamt dürftig.

Emil Gilels. The Seattle Recital. DG 4796288.

Roberto Prosseda spielt Mozarts Klaviersonaten

25.
Sep.
2016

Fülle an Abstufungen

roberto-prosseda-mozart-piano-sonatas-nos-1-6Ob eine Neueinspielung von Mozarts Klaviersonaten wirklich noch nötig sei, fragt der italienische Pianist Roberto Prosseda im Booklet seiner neuen CD, und ob es möglich sei, noch immer etwas Neues über diese Werke auszusagen und dabei Mozarts Partitur treu zu bleiben. Fragen, die zweifellos berechtigt sind: schließlich liegen bereits viele erstklassige Aufnahmen von Pires über Brendel bis Bezuidenhout vor, die – so könnte man meinen – das Spektrum der möglichen Interpretationen weit ausgelotet haben. Wer allerdings Prossedas CD mit den ersten sechs Mozartsonaten im Rahmen der geplanten Gesamtaufnahme gehört hat, kann dem Pianisten zugestehen, dass er triftige Gründe für sein Vorhaben hat. Mehr noch: diese Aufnahme ist ein Ereignis, denn feiner, differenzierter, sprechender hat man diese Sonaten kaum je gehört. Und das liegt vor allem an Prossedas Anschlagskultur. Wenn andere Pianisten mit einigen mehr oder weniger groben Abstufungen zwischen Legato und Staccato über die Runden zu kommen meinen, verfügt Prosseda, begünstigt durch die exquisite Mechanik des Fazioli-Flügels, über eine Fülle allein an non-legato-Abstufungen, die schlicht Staunen macht. Kein Lauf, kein Triller klingt da wie der andere, alles ist distinkt und klar ausformuliert unter genauer Beachtung von Mozarts Vortragsbezeichnungen. Man kann anhand dieser Aufnahme nachvollziehen, wie Ausdruck nicht auf „romantische“ Manier durch Rubati, sondern durch Differenzierung entsteht – was gerade Mozart bestens bekommt, der hier, von allem Gefühlsdusel befreit, in purer Reinheit zu uns spricht.

Frank Armbruster

Mozart. Klaviersonaten Nr. 1-6. Roberto Prosseda. Decca 48102632.

8 Jahreszeiten. Liv Migdal & Deutsches Kammerorchester Berlin.

16.
Aug.
2016

4260123642358Man kann manches kritisieren bei dieser CD. Dass eine Neueinspielung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ angesichts der Vielzahl an Aufnahmen nun wirklich keiner braucht. Dass das Deutsche Kammerorchester Berlin nicht, wie es bei Barockmusik Standard ist, auf historischen Instrumenten spielt. Dass Leonid Desyatnikovs Bearbeitung von Astor Piazzollas „Las Cuatro Estaciones“ – er flicht Motive aus Vivaldis gleichnamigem Werk in die Tangosätze ein – kaum im Sinne des Komponisten gewesen sein dürften. Und doch hört man diese CD ausnehmend gern, was in erster Linie am ungemein animierten Spiel der Solistin Liv Migdal liegt. Die 1988 geborene Geigerin spielt nicht nur technisch perfekt, sondern fesselt mit einer Intensität, die sich sowohl tonlich als auch gestalterisch vermittelt. Das Deutsche Kammerorchester Berlin spielt rhythmisch nicht immer auf den Punkt, lässt sich aber vom Feuer der Solistin anstecken.

Solo Musica SM235.

John Fields Nocturnes

04.
Aug.
2016

Für Freunde der Frühromantik

roeDer Ire John Field, der selbst Schüler von Muzio Clementi war, gilt als Erfinder des Nocturnes, jener Form romantischer Charakterstücke, die Fréderic Chopin dann zu ihrer schönsten Blüte entwickelt hat. Freilich täte man Fields Preziosen unrecht, würde man sie direkt mit den Nocturnes von Chopin vergleichen. Auch wenn beide viele Ähnlichkeiten aufweisen, wie die häufig arabesk ausgezierte Melodieführung über weit gespannten Arpeggien der Linken, so sind Chopins Nocturnes doch harmonisch wie melodisch ungleich raffinierter. Dennoch besitzen auch die Stücke Fields ihre zwar schlichteren, aber gleichwohl anrührenden Qualitäten, die Elizabeth Joy Roe mit viel Sensibilität zum Ausdruck bringt. Der Grad zwischen beherztem Espressivo und Kitsch ist dabei schmal, doch überschreitet ihn Roe mit ihrem technisch profunden und delikaten Spiel nicht. Eine interessante Entdeckung für Freunde der Frühromantik.

John Field. Complete Nocturnes.Decca/Universal 478 9672

Mahlers Sinfonien mit Jonathan Nott und den Bamberger Symphonikern

01.
Aug.
2016

Auf Leben und Tod

0812973016700In diesem Sommer verlässt Jonathan Nott die Bamberger Symphoniker, die er 16 Jahre geleitet hat. Eine lange Zeit, in der der Engländer das Orchester zu einem international gefragten Klangkörper geformt und sich dabei vor allem als hoch kompetenter Mahler-Dirigent profiliert hat. 2003 startete mit der Fünften die Einspielung sämtlicher Mahlersinfonien, die 2010 mit der Aufnahme der Sechsten und Achten abgeschlossen wurde; die beim Label Tudor bisher einzeln erschienenen Hybrid-SACDs sind nun als 12er-Box zum günstigen Preis erhältlich.

Die Anzahl der Mahler-Kompletteinspielungen insgesamt ist ja überschaubar – zu groß sind die Anforderungen, nicht nur was die Besetzung anbelangt, als dass sich ein solches Unternehmen im sinfonischen Routinemodus erledigen ließe. Und wenn man die Aufnahmen von Leonard Bernstein, Klaus Tennstedt, Pierre Boulez oder Michael Tilson Thomas gemeinhin zu den Referenzen zählt, so ist diese Neueinspielung geeignet, ihnen diesen Rang streitig zu machen. Die technische Brillanz der Bamberger, die mittlerweile auf Spitzenorchesterniveau spielen, ist dafür Voraussetzung, doch wäre bei Mahler damit allein noch nichts gewonnen. Entscheidend ist, dass es Jonathan Nott gelingt, in jedem Takt deutlich zu machen, dass es in Mahlers Musik immer um alles geht: um Leben und Tod, um Gott, Natur und die Unendlichkeit.

Nott ist ein Partiturdurchleuchter wie Boulez, aber mit dem Herzblut und der Leidenschaft eines Bernstein, ohne dabei zusehr in Pathos zu verfallen – so könnte man seinen Zugang zu Mahler charakterisieren. Dabei vermittelt er eine Unbedingtheit des Ausdrucks, die in Partiturkenntnis gründet: Alles ist hier klar strukturiert, noch die letzte Nebenstimme erscheint bewusst gestaltet. Die Dringlichkeit des Tons findet sich in jeder der neun Sinfonien (auf das Adagio der Zehnten hat Nott verzichtet). Den ersten Satz der Sechsten etwa entwirft Nott als erschütterndes Pandämonium, getragen von einem unerbittlich drängenden Marschrhythmus, den die Holzbläser mit giftigen Einwürfen spicken. Eine existenzielle Erfahrung von Bitternis und Leid, wie der Kopfsatz der Fünften, zu der die Transzendenz der zweiten oder dritten Sinfonie den Kontrapunkt bildet. Gerade im Finale der Dritten beweist Nott auch seine außergewöhnliche Fähigkeit, Phrasierungsbögen über knapp halbstündige Sätze zu spannen: inniger, verklärter metaphysischer hat man dieses Adagio (wie auch das Schlussadagio der Neunten) wohl nie gehört! Die insgesamt hochklassige Sänger- und Chorbesetzung und die exzellente Tontechnik runden das Bild ab.

Gustav Mahler. The 9 Symphonies. Bamberger Symphoniker. Jonathan Nott. TUDOR 1670. 12 CDS.

Ksenija Sidorova spielt Bizet

01.
Jul.
2016

Nicht bloß femme fatale

Ksenija-SidorovaSchon wieder „Carmen“, mögen da manche meckern, und dann noch dieses peinliche Coverfoto, auf dem Ksenija Sidorova als laszive femme fatale posiert. Doch gemach: denn die Ohrwürmer aus Bizets Erfolgsoper, die die lettische Akkordeonistin auf ihrer ersten CD für die Deutsche Grammophon teils mit Orchester (dem Borusan Istanbul Philharmonic), teils mit dem neunköpfigen Ensemble „Nuevo Mundo“ aufgenommen hat, sind so geschmackvoll und interessant arrangiert wie glänzend gespielt. Man hört das, sozusagen, einfach gern. Sidorova ist nicht nur eine ausgewiesene Virtuosin mit beträchtlicher Bühnenausstrahlung, die schon mit Größen wie Sting und Rolando Villazon aufgetreten ist, sie hat auch musikalisch wenig Berührungsängste. Dazu sieht sie aus wie ein Model, was ebenfalls nicht schaden kann, wenn es darum geht, auch größere Hallen zu füllen. Ja, es erscheint gar durchaus möglich, dass Sidorova mit dem oft als Volksinstrument belächelten Akkordeon gelingen könnte, was David Garrett mit der Geige geglückt ist. Die Chancen dafür sind nicht schlecht.

Ksenija Sidorova. Carmen.
Deutsche Grammophon/Universal 4795224.

Olga Scheps spielt Werke von Erik Satie

13.
Mai.
2016

Verkappter Romantiker

Heute genau vor 150 Jahren wurde Erik Satie geboren. Zunächst war er mangels Talent vom Conservatoire geflogen, später beriefen sich Größen wie Darius Milhaud, Francis Poulenc oder John Cage auf sein Schaffen. Der geniale Exzentriker kultivierte seinen Außenseiterstatus nach Kräften: Satie schrieb „3 Stücke in Form einer Birne“, einen „Unappetitlichen Choral“ oder ein „Schlaffes Präludium für einen Hund“. Etwa die Hälfte seines Werks besteht aus Klaviermusik, um die Pianisten meist einen Bogen machen, was daran liegt, dass sie nicht sehr virtuos und in ihrem lakonischen Tonfall schwer zu treffen sind. Als „stagnierende Musik mit unmerklichen Übergängen“ hat sie Alfred Cortot beschrieben, und was das bedeutet, kann man beispielhaft an der dritten der „Trois Sarabandes“ hören: Akkorde, die scheinbar ziellos im harmonischen Niemandsland umherschreiten, verbunden von arabeskenhaften Melodiebögen, die wirken, als hätte sie der Wind hereingeweht. Olga Scheps spielt diese Sarabanden auf ihrer neuen CD mit einer klugen Auswahl aus Saties Klaviermusik ungemein atmosphärisch, mit stupendem Klangsinn. Satie müsse nüchtern und sachlich gespielt werden, heißt es gemeinhin – doch dass in Werken wie den „Six Gnossiennes“ oder den „Trois Gymnopédies“ auch ein quasi romantischer, fast schumannesker Geist steckt, macht Olga Scheps auf sehr einnehmende und überzeugende Weise deutlich. Satie selbst hasste im Übrigen jede Kategorisierung: „Es gibt keine Satie-Schule. Der Satismus wüsste nicht, wie er bestehen sollte. Man träfe mich dort als Gegner.“

Olga Scheps. Satie. RCA/Sony 88985305402.

Igor Levit spielt Bach, Beethoven und Rzewski

30.
Okt.
2015

Variationen mal drei

cd-cover-igor-levit-bach-beethoven-rzewski-100~_v-img__1__1__xl_-fc0f2c4a90a5ebfa79f56bc1c9c6a86c876e2a3c104 Stücke finden sich auf dieser Dreifach-CD: 32 zählen Bachs Goldberg-Variationen, 34 Beethovens Diabelli- Variationen und 36 Rzewskis „The People United Will Never Be Defeated“. Allen drei Werken gemeinsam ist, dass sie auf einem schlichten Thema beruhen, das im weiteren Verlauf die unglaublichsten Veränderungen erfährt, außerdem sind sie alle pianistisch äußerst anspruchsvoll und zählen zu den Meisterwerken ihrer Komponisten wie ihrer Epoche. Schon programmatisch ist diese Neuproduktion also ein Statement – doch darunter macht es der deutsch-russische Pianist Igor Levit wohl nicht, der gleich auf seiner ersten CD-Veröffentlichung Beethovens späte Sonaten eingespielt hat.
Levits Annäherung an die drei Werke ist durchaus unterschiedlich. Die Goldberg-Variationen spielt er technisch untadelig, mit großer rhythmischer Klarheit, aber auch eine Spur pedantisch, kleinteilig: weder an die klangliche Magie Murray Perahias noch an die artikulatorische Vielfalt von András Schiff, die dazu auch einen zwingenderen Bogen über den Zyklus spannen, kommt er heran. Freier und entspannter ist sein Zugang zu den Diabelli-Variationen: Beethovens Einfallsreichtum und kauziger Witz scheinen Levit gut zu entsprechen, der auch hier technisch über den Dingen steht. Alle Einwände fahren lassen muss man schließlich bei Frederic Rzewskis „The People United“, jenem pianistisch aberwitzig schweren Gesamtkunstwerk, in dem der amerikanische Komponist verschiedenste musikalische Idiome grandios zusammenführt. Souveräner, mitreißender spielt das zurzeit wohl keiner.

Bach/Beethoven/Rzewski. Igor Levit. Sony Classical, 3CDs.